Meine Kolumne "Philosophische Sentenz des Monats" auf der kommerziellen Website "Geschenke aus den Museen der Welt".
Philosophische Sentenzen von 2018


Helmut Hille
Goethe in Heilbronn
15.01.2018
Von Sinsheim im Westen kommend, hat Goethe am 27. August 1797 "um 6 Uhr" Heilbronn erreicht und ist im Gasthof Sonne abgestiegen, "ein schöner Gasthof und bequem, wenn er fertig seyn wird. Man ist stark im Bauen begriffen", wie er in seinem Reisetagebuch vermerkt, dass wegen seiner vielen Aussagen zu Heilbronn hier nur eher in Stichworten wiedergegeben werden kann. Am 28. August, seinem 48. Geburtstag, den er nicht erwähnte, hat er sich dann in Heilbronn kundig gemacht. Das begann mit der Besichtigung von Mauern und "sehr tiefen Gräben", die um die Stadt herum führen, "der alten Defension" ohne vorspringende Türme, ungeeignet um die Mauern verteidigen zu können. In der ca. 20 Zeilen langen Würdigung der Verteidigungsanlagen vergisst er auch nicht am Schluss zu erwähnen, dass die "Quaderstücke gut gefugt und in neueren Zeiten genau verstrichen sind." Sehr aufmerksam.

Wie er feststellte, ist "die Stadt in ihrer glücklichen Lage, ihrer schönen und fruchtbaren Gegend nach auf Garten-, Frucht- und Weinbau gegründet." "Da sie ziemlich auf der Pläne liegt, sind ihre Straßen nicht ängstlich, aber meist alt." "Die Hauptstraßen sind meistens rein, aber die kleinen, besonders nach den Mauern zu" weniger, "jedem kleinen Hausbesitzer zum Misthof dienend." Er bemerkte nur wenige Häuser aus Stein, zumeist "ganz schlicht". "Was öffentliche Gemeinde Anstalten betrifft, so scheint man in einer sehr frühen Zeit mit Mäßigkeit darauf bedacht gewesen zu seyn. Die alten Kirchen sind nicht groß, von außen einfach und ohne Zierrath, der Markt mäßig, das Rathaus nicht groß aber schicklich." Was die Kilianskirche am Markt betrifft, muss ich bezüglich der Größe für eine Stadt wie Heilbronn widersprechen, auch das alte Rathaus finde ich heute noch der Umgebung angemessen groß. Die anderen Kirchen sind jedoch eher unauffällig.

Für Goethes weitere Tagebucheintragungen muss ich mich für eine Sentenz wirklich auf Stichworte beschränken, um die faszinierende Fülle seiner Beobachtungen innerhalb von 24 Stunden auch nur ahnen zu lassen. So fand er die Fleischbänke verlassen, dafür bei den Metzgern "in ihren in der Stadt verstreuten Häusern ihre Ware ausgelegt: ein böser und unreinlicher Mißbrauch." Danach, nach dem Lob des weißen Brotes, die Bemerkung, dass "Manns- und Frauenpersonen zwar ordentlich aber nicht modisch gekleidet sind." "Die Menschen sind durchaus höflich und zeigen ihrem Betragen eine gute natürliche stille bürgerliche Denkart." Aber auch: "Es werden keine Juden gelitten." Und dann das Manko: "Keine Beschreibung noch Plan von Heilbronn konnte ich erhalten", was wahrscheinlich mit der gerade durchgestandenen Kriegszeit zu tun hat, in der man sich besser bedeckt hält.

Bei der Quelle des Wohlstands und der Tugend der Stadtbürger wird auch noch erwähnt, dass weder Geistlichkeit noch Edelleute in früheren Zeiten großen Fuß in der Stadt hatten; wie die Schiffahrt am Neckar trotz der Dämme für Mühlen geregelt ist und Schiffe bei hohem Wasser 800 Centner tragen. Nach weiteren Bemerkungen zur Architektur seiner Herberge erwähnt er ferner, dass an der Wirthstafel auch "noch der Oberamtmann von Meckmühl und seine Frauenzimmer speisten." War sicher recht unterhaltsam.

Am Abend des 28ten fuhr er "um 6 Uhr mit dem Bruder des Wirths auf den Wartberg", der Heilbronn nach Norden abschirmt, und fand "die Sonne als eine bluthrote Scheibe in einem wahren Sirokoduft rechts von Wimpfen untergehen." Auch hier gute geographische Kenntnisse zeigend. Den Blick übers Land schweifend bemerkte Goethe "Alles was man übersieht ist fruchtbar"*, was vor Jahren löblicher Anlass für den Gemeinderat war, oben auf dem Wartberg neben der Aussichtsterrasse an Goethes Besuch erinnernd eine glänzende metallene Denktafel mit dieser Aussage samt Datum aufzustellen.

*Zusatz (nur hier): Anlässlich der Eröffnung der Bundesgartenschau 2019 Heilbronn (BUGA) am 17. April 2019 zitierte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Passus aus Goethes Tagebuch etwas ausführlicher: "Heilbronn liegt am Flusse und das Erdreich erhöht sich nach und nach bis gegen die Hügel im Norden und Nord-Osten. Alles was man übersieht ist fruchtbar, das nächste sind Weinberge, und die Stadt selbst liegt in einer großen grünen Masse von Gärten. Es gibt den Anblick von einem ruhigen breiten hinreichenden Genuß." Der Bundespräsident erwähnte auch noch, dass Goethe am Tag seines Besuches am 28. August 1797 seinen 48. Geburtstag hatte, von dem jedoch nichts im Tagebuch steht (von mir angemerkt).

Nach Gedanken zur Viehhaltung und den Kosten einer Kuh und deren Stallfütterung, ging es Goethe noch um die Entwicklung und Förderung des Bauwesens in Heilbronn "vor dem Kriege, durch kostenlose Anfuhr von Steinen und leicht verzinslichen Vorschuß." Da war sicher der Bruder des Wirths sein Gewährsmann gewesen. Zum Gemeinderat seiner Zeit bemerkte er: "Die Obrigkeit besteht aus lauter Protestanten und Studirten", die gut haushalten können, so dass sogar 140000 Gulden parat lagen, um die "Contribution der Franzosen zu begleichen, der sie glücklich entgangen ist." Detailreich beschrieben wird auch die verpachtete Holzschneidemühle der Stadt und wie deren Monopolstellung mit Hilfe der Flößer ausgeglichen wird, so dass "dieser Alleinhandel dem Bauen nicht hinderlich zu seyn scheint."

Goethe erwähnt noch das nahe bei Heilbronn gelegene Weinsberg mit der Burgruine Weibertreu (war er dort?), nicht aber, ob er dass oberhalb von Heilbronn im Stadtwald gelegene "Jägerhaus" besucht hat, eine beliebte Ausflugsgaststätte. Doch im Faust heißt es am Beginn des Osterspaziergangs: "Einige Handwerksburschen: Warum denn dort hinaus? Andre: Wir gehen hinaus aufs Jägerhaus." Wenn ich dort bin, muss ich oft an diese Stelle im Faust denken, wie überhaupt Goethe mir immer wieder nah ist. So habe ich gerade in den letzten Jahren seine "Italienische Reise" gelesen und im Kunsthandel dazu eine gute Wiedergabe des berühmten Bildes von Tischbein "Goethe in der Campagne" auf Leinwand erworben und gut sichtbar aufgehängt.

Am 29. August 97 notierte er in Ludwigsburg: "Von Heilbronn gegen 5 Uhr, vor Sonnen Aufgang fort." Zuerst fuhr er durch das jetzt zu Heilbronn gehörende "deutschherrische Sontheim", wo ich seit vielen Jahre wohne, vorbei "an Schloß und Dorf Thalen" (Talheim). Hier wieder, wie schon bei seiner Anfahrt nach Heilbronn, auch noch eine Anmerkung zur Geologie machend: "Man findet den horizontalen Kalkstein wieder." Mit dieser kurzen Feststellung endet die Wiedergabe des Reisetagebuchs von Goethes Heilbronnbesuch von 1797 durch die Stadtbücherei Heilbronn.

Nachtrag (auch im Original): Goethes Mutter zur Neugier und Aufmerksamkeit ihres Sohnes: "Wenn mein Sohn von Frankfurt nach Mainz reist, so bringt er mehr Kenntnis heim als andere aus ganz Amerika."

Zur Erinnerung:
die Philosophische Sentenz vom September 2013
Goethe als Erkenntniskritiker


Helmut Hille
Gedanken zu E = m · c²
15.02.2018
E = Energie = die Arbeit, die eine Sache leisten kann
m = Masse = die Menge einer Materie, die durch ihren Widerstand gegen Änderung ihrer Lage als ihre Trägheit erfahren wird. Masse = Maß der Trägheit, also kein Teilchen!
c = Lichtgeschwindigkeit = hier eine frei gewählte Rechengröße

Mir ist nicht bekannt, wie Einstein zu seiner berühmten Gleichung gekommen ist, die uns eine Vorstellung davon gibt, wieviel Energie in Materie steckt, wie sich das Jahrzehnte später bei den Nuklearbomben und in Kernkraftwerken gezeigt hat. Ich halte diese Gleichung für Einsteins größte Leistung, die den Materiebegriff eine neue Dimension gab. Dass dabei die zur Verfügung stehende Energie E proportional der beteiligten Materiemenge m ist, ist jedoch eine Selbstverständlichkeit. "Kühn" ist nur die gewählte Größe c. Es gab wohl für ihn einfach keine größere, zudem hatte "das Licht" für Einstein eine der Materie übergeordnete Bedeutung.

Doch es gibt gar keine Sache "Licht", denn Lichteindrücke entstehen erst physiologisch im Kopf des Beobachters, nachdem elektromagnetische Strahlungen mit Wellenlängen zwischen 380 und 780 nm auf seiner Netzhaut aufgetroffen sind. Wir sehen nicht, weil wir Lichtteilchen empfangen, sondern weil unsere Augen und der Sehapparat unterschiedliche Intensitäten einer einstrahlenden Energie in unterschiedliche Nervenimpulse wandelt, die der Sehcortex dann bewertet und interpretiert, wie das alle derartigen Hirn-Bereiche tun.

Ob c größenmäßig zutreffend ist - denn c ist meiner Meinung nach frei gewählt - sei dahin gestellt. Jedenfalls wird in Ermangelung einer besseren Gleichung mit ihr gerechnet, z.B. im CERN. Abweichungen würden sowieso verschwiegen, denn es geht ja heute auch immer darum, dass Einstein Recht hat, was eine neue Art angewandter Physik ist.

Für Einstein zeigte diese Gleichung, wie von ihm richtig bezeichnet, die zahlenmäßige "Äquivalenz von Materie und Energie". Energie und Masse sind nur in Normen festgelegte Rechengrößen und keinesfalls Dinge, die sachlich ineinander "umgewandelt" werden können - was eine alte alchemistische Wunschvorstellung ist, die immer noch gern publiziert wird. Die "Umwandlung" ist eben nur eine rein rechnerische. Das genügt, denn was eine Sache jenseits der durch Forschung gewonnenen Daten ist, wissen wir nicht und brauchen wir auch nicht zu wissen. Wir müssen nur gezielt mit ihr umgehen können, wie auch Einstein einmal bemerkte und wie es in der Forschung täglich geschieht.

Bedenkt man, welche riesigen energetischen Ereignisse nötig waren - der Big Bang und alle Arten von Novä - um die natürlichen chemischen Elemente zu bilden, kann das große Energiepotential der Materie nicht überraschen, das damit auch eine Form des Energieerhalts ist. Die Wasserstoffbombe ist dabei gewissermaßen das Echo des Urknalls, die Atombombe das Echo von Novä oder Supernovä und somit auch eine Art Beweis der genannten Ereignisse, denn von Nichts kommt nichts. Aber es wird eben nicht Materie "umgewandelt", sondern die durch die genannten Ereignisse gewonnene Bindeenergie zwischen den Teilchen wird freigesetzt, wie das auch Heisenberg sah. Lassen wir uns nichts mystifizieren!

Zum Weiterlesen:
WEGE DES DENKENS
I. Rationale Grundlagen der Physik
(I/B18) Metaphysisches - Metako(s)misches
http://www.helmut-hille.de/mehrwald.html


Helmut Hille
Beutegreifer und Physik
15.03.2018
Der Mensch gehört zu den Beutegreifern, was schon seine nach vorn gerichteten Augen belegen, die eine Beute fokussieren wollen. (Für die potentielle Beute dagegen ist eine möglichst große Rundumsicht wichtig.) Und wie er ist, so denkt er. Sein räuberisches Denken ist immer auf das Einzelne gerichtet, dessen er sich geistig oder real bemächtigen will. Darum fällt es ihm schwer, Ganzheiten zu akzeptieren, sei es im Leben oder in der Wissenschaft.

Der gestirnte Himmel über uns zeigt jedoch, dass alles auf alles reagiert. Akzeptiert man, dass unser Kosmos eine Einheit ist, gibt es mit der Schwerkraft keine Probleme. Da müssen sich nicht erst Räume verbiegen und Gravitationswellen Botschaften bringen. Ich habe vorgeschlagen die Schwerkraft als ein Verschränkungsphänomen zu verstehen, beim Big Bang zugleich mit der kosmischen Fliehkraft entstanden. Und aus diesem Ringen der beiden widerstrebenden Urkräfte gingen stabile Planetensysteme und Galaxien hervor, bei denen beide Kräfte miteinander im Gleichgewicht sind, wie wir das auch am Sonnensystem beobachten können, dessen Langlebigkeit wir unsere Existenz verdanken. In Verbindung mit Newtons Gravitationsgleichung bedarf es keiner weiteren Erklärung des Verhaltens der Sterne, wodurch sich ein Kosmosverständnis von großer Einfachheit, Klarheit und Schönheit ergibt

Doch die Beutegreifer unter den Kosmologen scheuen für sie "geisterhafte Fernwirkungen", die aber eben keine sind, wenn man den Kosmos als eine energetisch verbundene verschränkte Einheit versteht. Himmelskörper sind sich nicht "fern" - wir sehen sie nur so, obgleich schon das innige System Erde - Mond uns eines Besseren belehrt haben sollte. Für Newton waren Körper nicht die Ursache der Schwerkraft, wie ihm immer wieder unterstellt wird, sondern Körper waren für ihn nur der Mittelpunkt der um sie herum verteilten zentripetalen Wirkfähigkeit, wie es einzig erweisbar ist und wie man bei ihm nachlesen kann. Doch wer macht sich schon die Mühe? Und indem er - schon aus Respekt vor dem Phänomen - keine Hypothesen erfand, blieb er Wissenschaftler. Das Wissen von Verschränkung verdanken wir der Quantenphysik, die auch darin immer erfolgreicher wird. Ich gehe sogar soweit zu sagen, dass erst die Quantenphysik in Verbindung mit Newtons Axiomen und dem Erhaltungssatz der Energie uns die Gravitation uns den Kosmos verständlich macht. Das aber ist nicht mehr eine Frage des Wissens, sondern immer mehr eine Frage der Akzeptanz, zu der man jedoch seine auf das Einzelne gerichtete beutegreiferische Sehgewohnheit erst überwinden muss.

Von der Rolle des Beobachters wollen harte Physiker noch immer nichts wissen. Doch mein neurophilosophischer Ansatz zeigt auch hier, wie man bei Berücksichtigung der menschlichen Denkweise ganz zwanglos eine einfache befriedigende Sicht der Dinge gewinnt, die keine wesentliche Frage offen lässt, wie man bei mir nachlesen kann. Probleme in der Wissenschaft sind oft genug die Probleme eines an die Fakten nicht angepassten Denkens, wie ich schon in einer früheren Sentenz (August 2017) eingangs geschrieben hatte.

Zum Weiterlesen:
WEGE DES DENKENS
I. Rationale Grundlagen der Physik
(I/C8) Das Universum
http://www.helmut-hille.de/universal.html

Zum Thema "Verschränkung" s. die Sentenz vom Juli 2009 "Tanz der verschränkten Quanten"


Helmut Hille
Goethes Gärten in Weimar (I)
15.04.2018
Quelle: Goethes Gärten in Weimar "Goethes Gärten in Weimar" (Edition Leipzig) heißt ein von der Klassik Stiftung Weimar herausgegebenes Büchlein von Dorothea Ahrendt und Gertraud Aepfler, den Gartenarchitektinnen der Stiftung, das mich sehr interessierte, weshalb ich es kaufte. Mich hat immer schon beschäftigt, was mit Goethe zusammenhängt. So habe ich natürlich auch die wichtigsten Stationen seines Lebens besucht, sei es sein Geburtshaus in Frankfurt am Main, sei es sein Haus am Frauenplan in Weimar und natürlich auch sein Gartenhaus und das zweimal. In die Goethesammlungen neben dem Wohnhaus bin ich leider nicht gekommen, da es während meines Besuches des Hauses am Frauenplan wegen Umbau geschlossen war. Besucht habe ich später bei der 2. ausführlichen Besichtigung von Goethes Gartenhaus auch die Fürstengruft, wo er neben Schiller und dem Großherzog seine letzte Ruhe gefunden hat.

Goethes Gartenhaus im Ilmtal habe ich zuletzt am 06.10.94 um 14.15 Uhr besucht, wie die Quittung der Rechnung zu Gartenhaus und Stadtplan (DM 5,-) ausweist. Den Garten fand ich nicht auffällig, noch dazu war Mitte Oktober und der Winter nah. Was sein Werk betrifft, hat Goethe sich mehr als Wissenschaftler denn als Dichter gesehen, weil die Dichtung ihm nur so zuflog. So war er ebenfalls Geologe und Botaniker und versuchte auch noch mit seiner Farbenlehre Newton aufwändig zu widerlegen. Zudem befasste er sich mit Anatomie und fand in Jena als Bindeglied zwischen Tier und Mensch den Zwischenkieferknochen. Man kann sagen, dass er auf seine Weise ein Vorläufer von Darwins Entwicklungslehre war, was man auch an seiner Suche nach der Urpflanze ersieht, deren Suche er in seiner Italienischen Reise (1786 und 1787-1789) mehrmals erwähnt. Seine botanischen Studien, auch im eigenen Garten am Stadthaus, hat er dann 1790 in seinem naturwissenschaftlichen Werk "Versuch die Metamorphose der Pflanzen zu erklären" niedergelegt, die er 1798 mit einer Elegie krönte. Auch mit einer "Metamorphose der Tiere" hat er sich versucht. Wegen des einseitigen Darwinkultes wird diese Seite Goethes m.E. viel zu wenig gewürdigt.

Seine botanischen Kenntnisse und Initiativen sind da bekannter: In Jena zeigte man mir einige Ginkgobäume, die er pflanzen ließ. Sein berühmtes Gedicht "Gingo Biloba" beginnt mit dem Herkunftshinweis: "Dieses Baumes Blatt, der von Osten meinem Garten anvertraut,…" Der aus Fernost (Japan, China) stammende Ginkgo ist eine Art Urbaum, zwischen Nadel- und Laubbaum stehend mit kräftigen zweigeteilten Blättern. Goethe dazu: "Ist es ein lebendig Wesen, das sich in sich selbst getrennt?" Hier in Heilbronn pflanzt das Grünflächenamt gern Ginkgobäume, da sie in ihrer einfachen Aststruktur nicht so ausladend wie Laubbäume werden und sich so besser in enge Stadträume einfügen können.

Goethes Gartenhaus hatte für ihn eine besondere Bedeutung, denn erst durch dessen Kauf im April 1776 wurde er schon nach weniger als 6 Monaten Aufenthalt in Weimar dessen Bürger. Der 18-jährige Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach Carl August hatte den Kauf forciert und aus seiner Schatulle bezahlt, um den 26-jährigen Goethe dauerhaft an Weimar zu binden. Goethe wohnte dort 6 Jahre, bevor er das Haus am Frauenplan bezog, "doch blieb der nunmehrige "untere Garten" für Goethe ein stiller Zufluchtsort, wohin er sich, um ungestört nachdenken und arbeiten zu können, zurückzog, wo aber auch frohes Familienleben und heitere Geselligkeit Platz fanden." Es bleibt aber auch zu erwähnen, dass das Grundstücke nicht allzu weit von dem der Frau von Stein entfernt liegt, die ihn für die Weimarer Gesellschaft erst salonfähig machte und der Goethe brav einen Schlüssel zu seinem Grundstück sandte, das nur über einen versperrten Steg über die Ilm erreicht werden konnte. Neben der Schatulle des Großherzogs war sie wohl sein wichtigster Grund, sich fernab des Großstadtgetriebes in Weimar niederzulassen.

Die Renovierung des heruntergekommenen Hauses und des verwilderten Gartens erforderten viel Einsatz Goethes, während der Großherzog für die Kosten aufkam. Vor dem Haus gab es Rabatten für Gemüse, die der Versorgung dienten. Sogar Spargel war angepflanzt und Frau von Stein erhielt auch schon mal artig ein Bündel als Gruß, aber auch "Büschelgen" von Veilchen, Aurikel, Rosen, Erdbeeren und Pfirsiche. Am Hang hinter dem Haus lies Goethe Laub- und Nadelbäume pflanzen und legte auch mal selbst die Hand an, um mit Baumwachs "die Räuber abzudrücken". Auch ließ er zur Abschirmung des Grundstücks eine Hecke pflanzen und legte "hinter dem Gartenhäuschen … einen parkartigen, dicht mit Gehölzen bewachsenen Gartenteil an, der sich deutlich vom Nutzgarten und dem sonnigen Obsthang abhob." Und dann ist da auch noch das Lieblingsbänkchen der Frau von Stein zu finden, auf das eine Gedenktafel mit einem Vers Goethes hinweist. Es muss wohl eine große Liebe gewesen sein:

"Hier dachte still ein Liebender seiner Geliebten:
Heiter sprach er zu mir: Werde mir Zeuge, du Stein!
Doch erhebe dich nicht! Du hast noch viele Gesellen:
Jedem Felsen der Flur, die mich den Glücklichen nährt,
Jeden Baum des Waldes, um den ich wandelnd mich schlinge,…"
Fortsetzung folgt
(Bild Gartenhaus nur hier)

Zur Erinnerung
die Philosophische Sentenz vom September 2013: Goethe als Erkenntniskritiker
ferner die Sentenz vom Januar 2018: Goethe in Heilbronn


Helmut Hille
Goethes Gärten in Weimar (II)
15.05.2018
Auch nach seinem Umzug 1782 zum Haus am Frauenplan behielt Goethe sein "unteres Gärtchen" im Ilmtal bei, das er immer wiedermal tages- oder auch monatsweise bewohnte. "Die Schönheit des Ilmtals empfand er zu jeder Jahreszeit und genoß sie mit allen Sinnen." Goethes Sohn August (1789 - 1830) durfte darin später "ein eigens Gärtchen" bewirtschaften, wie auch Fritz von Stein, der 1788 ganz überrascht war, im Gartenhaus einem "kleinen korpulenten Frauenzimmer, welche auch daselbst zu Hause zu sein vermeint" zu begegnen. Es war Goethes spätere Frau Christiane Vulpius (1765 - 1816), die sich liebevoll um Haus und Garten kümmerte und die 1795 dem Wunsch des Großherzogs widerstand, das Goethische Anwesen zurückzukaufen, um es der Landschaft des Ilmtals einzufügen. So blieb es in Goethes Besitz. Seine erste Begegnung mit seiner späteren Frau hat er 1813 rückblickend mit dem berühmten Gedicht "Gefunden" umschrieben: "Ich ging im Walde so für mich hin…", sie als "Blümlein" bezeichnend, dass er "zum Garten trug, am hübschen Haus." Gemeint war sein Gartenhaus. Anlass des Gedichts war der 25. Jahrestag der ersten Begegnung beider im Park an der Ilm in Weimar August 1788, die offensichtlich sehr nachhaltig war.

"Im Haus am Frauenplan wohnte Goethe zuerst zur Miete, bis Herzog Carl August von Sachsen-Weimar und Eisenach 1792 das Anwesen erwarb und es 1794 seinem mittlerweile in den Adelsstand erhobenen Staatsminister Goethe schenkte. Erst als Eigentümer konnte Goethe das Gebäude nach seinen Entwürfen umbauen lassen und den Garten am Wohnhaus nach seinen Ideen gestalten." "Der Hausgarten wurde hauptsächlich von Goethes Frau Christiane betreut und diente vor allem der Versorgung des großen Haushaltes mit Obst und Gemüse. Um 1794 führte Goethe zeitweise botanische Versuche durch und bestellte dafür einige Beete nach pflanzensystematischen Gesichtspunkten. 1817 konnte die Gartenfläche durch Erwerb des sogenannten "Treuterschen Gartens" in östlicher Richtung erweitert werden. Mit diesem Kauf kam auch das Gartenhaus an der Ackerwand in Goethes Besitz, in dem er seine Mineraliensammlung unterbrachte. Der Garten entspricht heute dem Zustand der 1820er Jahre, wobei die früheren Gemüsebeete durch Rasenflächen ersetzt sind."

Es war nach 1795 Goethes Frau Christiane, deren Wirken bis zu ihrem Tode 1816 den Garten hinter dem Goethehaus prägte. Es gab ja auch zahlreiche Familienangehörige zu versorgen, wie Goethes Sohn August mit Frau und drei Kindern und die Dienstboten. So wurde viel Gemüse, auch seltenes, angebaut und immer wieder wurden Obstbäume gepflanzt wie Birnen, Feigen und Mandeln. Selbst Orangenbäumchen wuchsen in Kübeln. Wein natürlich sowieso. Auch Spargel und Erdbeeren durften nicht fehlen. Viel Sorgfalt und Zeit wurde auf das "Einmachen" der Früchte verwendet, so dass es eine vielseitige bürgerliche Küche auch in den Wintermonaten gab. Im Buch finden sich zum "Einmachen" damalige Rezepte.

"Die Blumen waren den Rabatten um die Gemüseflächen und die Beete am Haus vorbehalten, soweit Obstbäume noch Platz freiließen." Goethe kümmerte sich liebevoll um die Bepflanzung und Pflege des Hausgartens und genoss den Blumenschmuck. Aber auch neue Spargelbeete wurden angelegt und Weinstöcke gepflanzt. Dabei war er bemüht, möglichst viel selbst geernteten Samen zu verwenden. Einen großen Teil der Pflanzen zog man, soweit sie nicht direkt ins Freiland ausgesät wurden, in eigenen Erdkasten heran." Wegen der vielen Schatten werfenden Bäumen waren Staudengewächse beliebt, die Schatten vertragen. Bei aller Freude an Blumen und Pflanzen im Garten setzte Goethe bis an sein Lebensende auch immer wieder die botanischen Studien fort, z.B. über die Spiralität von rankenden Pflanzen.

"Am 26. Februar 1832 diktierte Goethe seinem Gärtner genaue Anweisungen bezüglich der Frühjahrsarbeiten in beiden Gärten. Wenige Tage vorher, am 20. Februar, war er nochmals einige Stunden im ‚Garten am Stern' (dem ‚unteren Garten') gewesen. Die Früchte seiner letzten Fürsorge für die Gärten konnte Goethe nicht mehr genießen. Er starb am 22. März in seinem Haus am Frauenplan." "Nach dem Tod Walther von Goethes 1885 (dem ältesten der kinderlos gebliebenen Enkel) gingen Haus und Garten, an denen in den Jahrzehnten seit 1832 nichts verändert wurden, laut Testament in den Besitz des Großherzogtums über und wurden am 8. August 1885 zum "Goethe-Nationalmuseum" erklärt."

(Auszüge aus dem Buch "Goethes Gärten in Weimar" Edition Leipzig mit Genehmigung des Verlags.)

Glücklicher Fund
Da ich wissen wollte, welche Jahre die Aufzeichnungen betrafen, in denen der auch im Buch als Gartenbesucher erwähnte Johann Peter Eckermann die von ihm festgehaltenen Gespräche mit Goethe führte*, schlug ich das Buch dazu auf (Brockhaus, Ausgabe 1949) und fand darin ein Kalenderblatt von 1955 mit einem Gedicht Goethes (ohne Titel, vielleicht Teil eines längeren Gedichts?), das mich wohl auch damals schon sehr berührt hatte, weshalb ich es aufhob, und das mir heute besonders zu Goethes tiefer Verbundenheit mit seinen nach außen hin abgeschirmten Gärten passt, seinen Elysien, in denen er ganz bei sich selber war:

"Ich weiß, dass mir nichts angehört,
als der Gedanke, der ungestört
aus meiner Seele will fließen,
und jeder günstige Augenblick,
den mich ein liebendes Geschick
von Grund aus lässt genießen.
Halte dich nur im Stillen rein
und laß es um dich wettern;
je mehr du fühlst ein Mensch zu sein,
desto ähnlicher bist du den Göttern."**
Widmung
Diese Sentenz ist der Herausgeberin meiner Philosophischen Sentenzen Ingrid Sandforth-Blanken, Bremen, gewidmet, der ich nicht nur die Anregung zu dieser Literaturform verdanke, sondern welche die Texte auch mehr als anderthalb Jahrzehnte lang unbeirrbar Monat für Monat als Kolumne auf ihrer wunderbaren Internetseite von Museumsrepliken veröffentlicht und sie darüber hinaus in Jahrgangsarchiven gesammelt hat. Nochmals ganz, ganz herzlichen Dank!
Ihr Helmut Hille

Anmerkung von Frau Sandforth-Blanken:
Danke, lieber, sehr geschätzter Herr Hille!
Es ist mir eine große Freude, Ihre klugen
Gedanken veröffentlichen zu dürfen!

Nachträge (nur bei mir)
*Untertitel des Buches "Gespräche mit Goethe": "in den letzten Jahren seines Lebens", also von 1823 - 1832
**Unter dem Titel "Beseligung" im Januar 2019 mit einem Bild des Gartenhauses (Ausschnitt) aus dem o.g. Buch als Themenbild 9 in ZEIT UND SEIN aufgenommen. Wie ich jetzt (Febr. 2019) feststellen konnte, ist das Gedicht eine Zusammenstellung wahrscheinlich des Kalendermachers. Die ersten 6 Zeilen hatte Goethe mit "Eigentum" überschrieben, die letzten 4 stammen aus den "Zahmen Xenien" zum Thema "Gelassenheit". Ich habe die nicht von mir stammende Zusammenstellung übernommen und "Bei sich sein" getitelt, wie Goethe wohl die Aufenthalte in seinen Gärten empfand, die zudem für ihn mit seinen beiden großen Lieben für immer verbunden waren.


Helmut Hille
Was ist Philosophie?
15.06.2018<
Das Geistige des Menschen ist die nach innen genommene Auseinandersetzung mit der Welt. Ihrer Natur nach ist Philosophie das Ringen um die Freiheit des Geistes, d.h. frei sein zu wollen von Wissensillusionen und Doktrinen, die Menschen hindern, die Welt angemessen zu verstehen. Wer auf diese Weise frei ist, wird ein Weiser genannt. Philosophie ist also nicht schon diese oder jene mehr oder weniger kluge Weltinterpretation, sondern im Kern das ehrliche Bemühen, um die Lauterkeit des Verstehens, ohne Rücksicht auf Erwartungen und Erfolge. Das ist für mich die Philosophia perennis, das immerwährende intensive Bemühen um die Klarheit des Denkens, ausgehend vom Bemühen um die Klarheit der verwendeten Begriffe. Dass man also weiß, wovon man überhaupt spricht. Philosophie wird seit altersher deshalb zurecht "als Liebe zur Weisheit" definiert.

Auf diesem kritischen Weg bin ich zu der Einsicht gekommen, dass alles Verständnis letztlich auf dem Selbstverständlichen beruht, das uns unmittelbar einsichtig ist wie 1 + 1 = 2. Verstehen kommt also nicht von außen, sondern aus uns selbst, aus dem Unbewussten, das ein rationales Organ ist, das überschätzte Bewusstsein dagegen nur sein Kontroll- und Korrektivorgan. Denn wer schon Selbstverständliches nicht versteht - was will er dann verstehen? Zum Selbstverständlichen gehört die Einsicht, dass es keine Wirkung ohne Ursache gibt. Wo es bei Unbelebten an Ursachen fehlt, verharren die Dinge von sich aus in ihrem Zustand (Newton, 1. Axiom). Bei Belebtem sind es dagegen die eigenen Bedürfnisse und Motive, die es antreibt, da es aus eigenem Grunde lebt und wirkt. Diesen Unterschied zwischen Unbelebten und Belebten gilt es in der Wissenschaft stets zu beachten. Doch das Sein selbst ist einfach da, ohne Warum und Wozu. Das zu verstehen nennt man "Seinsverständnis". Es ist noch wenig verbreitet.

Schwerpunkt meines Philosophierens ist die Erkenntnistheorie, die in einer Theorie des Verstehens aufgeht. Wissen wir, warum wir eine Aussage für wahr halten und warum wir etwas zu verstehen meinen, werden wir Herr im eigenen Haus und können kritisch mit Meinungen umgehen. Kennen wir die Prämissen unserer Urteile nicht, bleiben wir ihnen ausgeliefert. Das Suchen nach Ursachen und Gründen ist als Schritt in der Evolution in uns angelegt. Am besten erkennen wir ihn am hartnäckigen Warumfragen der Kinder. Wir sollten sie ernst nehmen. Es ist keine Schande, mal etwas nicht zu wissen, sondern sollte Anregung sein, möglichst zusammen mit dem Kind über seine Frage nachzudenken.

Wollen wir den Charakter unseres Philosophierens tiefer verstehen, gilt es in der Erkenntnistheorie die Ergebnisse der Hirnforschung zu berücksichtigen, was man Neurophilosophie nennt. Hierbei ist grundlegend, dass das Gehirn aus zwei Hälften besteht, die durch einen Balken, das Corpus Colossum, verbunden sind. Die Hirnforschung hat nun herausgefunden, dass die Erfahrung und das Wissen kompakt in der rechten Hirnhälfte gespeichert sind, während die linke Hälfte versucht, dieses Wissen zu verknüpfen und in nachvollziehbaren Sätzen zu formulieren. Sie ist also für das Denken und die Sprache zuständig. Das heißt, das Hirn ist ein selbstreferentielles System. Die "Wahrheit" einer Aussage bezieht sich nämlich immer auf das jeweils zur Verfügung stehende Wissen oder was aus ihm gefolgert werden kann. Es gibt keine Wahrheitsinstanz außerhalb unseres Wissens. Niemand wird doch ehrliche Urteile über etwas fällen können oder wollen, von dem er nichts weiß! Und prüfen wir einen Sachverhalt, dann verursacht nicht dieser ggf. ein neues Urteil, sondern wir bilden uns ggf. ein neues Urteil, das mit unserem sonstigen Wissen konform geht. Wir sind also selbst verantwortlich für das, was wir denken und sagen, was für viele instinktiv ein unbequemer Sachverhalt ist, dem sie gern auskommen möchten, weshalb es so viele Ausreden, auch als Philosophien gibt. "Philosophie ist Aufklärung - aber gerade auch Aufklärung gegen den Dogmatismus ihrer selbst." (Hans-Georg Gadamer, aus seiner Selbstdarstellung) Das ist die Geschichte der Philosophie. Die Geschichte der Weisheit ist noch ungeschrieben.

Es stellt sich natürlich die Frage, warum die Freiheit des Geistes so schwierig zu erlangen ist. Antwort: Weil das Hirn sie nicht will. Es hat als sehr altes Organ kein Vertrauen in seinen jeweiligen Besitzer. Oder wie es Jürgen Krüger formulierte: "Da lacht sich das Gehirn ins Fäustchen. Es ist dasjenige Organ, das die Erforschung seiner eigenen Leistungsfähigkeit, mittels eben dieser Leistungsfähigkeit bestmöglich zu verhindern weiß." Und warum tut es das? Um auf Grund des mehr oder weniger zufälligen Wissens sich ergebende Plausibilitäten ungestört als "objektive Wahrheiten" erscheinen zu lassen, weil das im praktischen Leben der Fitness dient. Wenn man es aber durchschaut hat, arbeitet es durchaus mit einem zusammen, wie ich erfahren konnte, denn es will ja verstehen. Man bewegt sich dann im Denken auf einer anderen Ebene. Wichtiger z.B. als zu verstehen was einer sagt kann sein zu verstehen, warum er das sagt, also das verborgene Motiv seines Sagens zu erkennen, das dem anderen vielleicht nichteinmal selbst bewusst ist. So bleibt man souverän.

Andere erkennen ist klug, sich selber erkennen ist weise. (Laotse)

viren Zum Weiterlesen:
WEGE DES DENKENS
II. Das Verhältnis von Denken und Sein
Texte zur Philosophie und Hirnforschung
http://www.helmut-hille.de/philsph.html


Helmut Hille
Mein Weltbild und das Yin-Yang-Prinzip
06.12.2018
Man denkt, es ist alles Wesentliche schon gesagt, da wird man auf neue Gesichtspunkte und Zusammenhänge gestoßen. Auf der DPG-Tagung 2018 in Würzburg habe ich der Sektion Materie und Kosmos vor 4 Fachverbänden meine Gedanken zur Einheit der Physik vorgetragen und hoffte, damit alles Wichtige zur Einheit gesagt zu haben, da hat mich ein Hörer auf das Yin-Yang-Prinzip der chinesischen Philosophie des Taoismus aufmerksam gemacht, das meine Gedanken zum Thema treffend zusammenfasst.

Das seit Milliarden von Jahren unbeirrte Kreisen der Planeten um die Sonne, was durch seine Dauer die Entwicklung des Leben hier auf der Erde erst ermöglicht hat, ist Folge der beiden gegensätzlichen Urkräfte, die in meiner Sicht beim Urknall unseres Kosmos zugleich entstanden sind und die seitdem miteinander ringen: die kosmischen Fliehkraft und die Schwerkraft. Während die kosmische Fliehkraft alle Materie vom Ort des Urknalls forttreibt, versucht die zu den Körpern gehörende Schwerkraft sie wieder zu vereinen. Wo beide Kräfte im Gleichgewicht sind, gibt es dauerhafte Planetensystemen, Galaxien und sehr alte Kugelsternhaufen. Ein solches Zusammenspiel gegensätzlicher Kräfte mit stabilen Ergebnis ist genau das, was die chinesische Philosophie des Taoismus mit dem Yin-Yang-Prinzip veranschaulichen will: es steht "für polar einander entgegengesetzte und dennoch aufeinander bezogene Kräfte oder Prinzipien" (Wikipedia). Im Lichte meiner Kosmologie muss ich sagen: wie Recht die Chinesen damit hatten und haben.

Das Yin-Yang-Prinzip gilt nicht nur materiell bei dem, was wir Kräfte nennen, sondern auch im Biologischen und Geistigen. Biologisch ist uns die Polarität des Weiblichen und Männlichen gut bekannt, deren Herausbildung die Vielfalt des Lebens ermöglicht hat. Im Geistigen wird sie von mir angemahnt und ich habe mit meiner Deutung der verschlüsselten Einleitung von Parmenides Lehrgedicht über das Sein ein Beispiel gegeben. Auch hier hoffte ich mit dem Klartext der Einleitung das Wesentliche gesagt zu haben. Doch blieb die Frage, warum Parmenides auf dem Weg zur Erkenntnis in Form einer namenlosen Göttin, nur weibliche Gottheiten und Kräfte zur Seite stehen und warum Goethe ganz am Schluss seines Faust den Chorus Mysticus ausrufen lässt "Das Ewig-Weibliche zieht uns hinan", was sicher nichts mit Erotik zu tun hat. Es ist eben so, dass wir uns der Welt auf zweierlei Weise nähern können, nämlich der männlichen, nach außen auf Beherrschung drängenden Weise, die sich alles rücksichtslos aneignen will und oft zerstörerisch wirkt, und auf dem weiblichen Weg der einfühlenden Hingabe aus Liebe, die zu einem innigen Verstehen des Gegenübers führt. Das beste Ergebnis wird allerdings dann erreicht, wenn zur weiblichen Intuition das kritische rechte Bedenken auf Grund abgeklärter Prinzipien dazu tritt, also die Vereinigung der weiblichen und der sublimierten männlichen Weise. Auf diesem Weg kommen wir sowohl zu einem innigen, als auch gerechten, nach Grundsätzen abgeklärten Verständnis der Dinge (aus WEGE DES DENKEN Datei II/5a). Und die Verbindung beider Sichtweisen zu einem optimalen Verständnis der Welt ist eben wieder das, was das Yin-Yang-Prinzip besagt.

Aber das Prinzip ist auch zuvor schon bei der Arbeitsweise des Gehirns selbst zu finden, dessen zwei Hälften um die Wahrheit von Aussagen ringen. Die Hirnforschung hat herausgefunden, dass die Erfahrung und das Wissen kompakt in der rechten Hirnhälfte gespeichert sind, während die linke Hälfte versucht, dieses Wissen in nachvollziehbaren Sätzen zu formulieren. Sie ist also für das Denken und die Sprache zuständig. Das heißt, das Hirn ist ein selbstreferentielles System. Die "Wahrheit" einer Aussage bezieht sich dabei immer auf das jeweils gerade zur Verfügung stehende Wissen oder was aus ihm gefolgert werden kann, denn niemand wird doch ein ehrliches Urteil zu etwas abgeben können, von dem er nichts weiß. In dieser meiner Sicht ist die sehr alte Frage "Was ist Wahrheit?" m.E. beantwortet, also auch hier mit dem, was das Yin-Yang-Prinzip besagt.

Dies sind in meinem Weltbild sicher nicht die einzigen Aussagen, auf die das Yin-Yang-Prinzip zutrifft, aber wohl die wichtigsten. Auch spirituell, im Verhältnis von Zeit und Sein als die zwei Seiten einer Medaille, lässt sich dieses Ringen um Verständnis bei mir allgemein finden. Dazu gehört für mich auch das Zusammenspiel von Unterbewusstes und seinem Kontrollorgan dem Bewusstsein, von zweien die eins sind, welches das geistige Leben ausmacht. Und nicht zuletzt in den Wechselfällen des Lebens wird immer wieder aufscheinen, was das Yin-Yang-Prinzip besagt und die Wechselfälle erträglich macht.

Zum Weiterlesen:
ZEIT UND SEIN
Texte in Versform
[7] Die Lehre von der Allgewalt der Schwere. Szene Faust/Newton
http://www.helmut-hille-philosophie.de/schwere.html


- -  bis hierher am 25.04.2018 von der DNB in ihr Langzeitarchiv aufgenommen  - -
Text "Was ist Philosophie?" danach mehrfach ergänzt.
Vom Juli bis November 2018 konnten wegen schwieriger Wartung ihrer Seite von Frau Sandforth-Blanken keine Sentenzen veröffentlicht werden.
Vorbereitete Sentenzen wurden als Reserven nach 2019 verschoben.

Sentenzen 2019     zur Sentenzen-Übersicht     nach oben

Dokument: http://www.helmut-hille-philosophie.de/st_2018.html