70. Jahrestagung der DPG 2006 / Universität Dortmund
Referat vor dem Arbeitskreis Philosophie der Physik (AK Phil) 11.1 am 30. März 2006
(identisch mit dem Referat von 2005 vor dem Delfi-Workshop)


Die Natur des Wissens verstehen

Abstract

Wäre unser Wissen nur das Abbild einer fremden Welt, wäre uns das Gewusste so fremd wie diese Welt selbst und damit als Wissen nicht hilfreich. Deshalb müssen den durch die Sinne hereinströmenden Daten sofort relevante Bedeutungen verliehen werden. Dies ist die eigentliche schöpferische Aufgabe des Gehirns. Erst die Bedeutung ist das Wissen, auf das wir uns denkend und handelnd beziehen, wie Freund, Feind oder Beute. Sie trägt das lebendige System an die Phänomene heran und probiert, inwieweit sie für sein Überleben hilfreich sind. Analog trägt auch der Physiker selbst generierte physikalische Eigenschaften an die Dinge heran und probiert, inwieweit sie dadurch für ihn handhabbar werden. Zeilinger dazu: "Wir haben gesehen, dass die übliche Sicht, die Welt besäße ihre Eigenschaften, unabhängig von uns und unabhängig von der Beobachtung, so nicht stimmen kann." Es wird aufgezeigt, aufgrund welcher mentalen Mechanismen wir uns die Welt geistig aneignen.

Referat

Die Weise des Wissens
im Chemiehörsaal der Uni Dortmund Gegen Ende seines 2003 aufgelegten Buches "Einsteins Schleier. Die neue Welt der Quantenphysik" schreibt Anton Zeilinger: "Wir haben begonnen, in einen Bereich vorzudringen, in dem viele Dinge noch nicht so klar sind, wo einige wirklich wichtige Fragen noch einer Beantwortung harren. Zu diesen Fragen gehören eben die nach der Natur dieses Konzeptes, das Wirklichkeit und Information umfasst, nach dem Wesen des Wissens. Nicht zuletzt steht hinter allem die Frage nach unserer Rolle in der Welt. … Es ist zu hoffen, dass es hier, sicher auch durch die Philosophie, zu neuen Einsichten und sogar Durchbrüchen kommt." Diese "neuen Einsichten und sogar Durchbrüche" haben lt. Zeilinger etwas mit der "hinter allem stehenden Frage, nach unserer Rolle in der Welt" zu tun, unserem Selbstverständnis, das es daher zu klären gilt. Ich denke dabei, dass sich selbst verstehen heißt, sich als lebendiges Wesen zu verstehen. Von daher lautet die auch für den Philosophen wichtigste Frage: Was ist Leben? Sie ist das philosophische Universalproblem, in dem alle anderen Probleme wurzeln. Dazu brauchen wir eine Definition von Leben. Die meine lautet: Leben ist Materie mit der Fähigkeit zur Anverwandlung fremder Strukturen in die eigene mit dem Ziel der Selbstreproduktion. Die Anverwandlung des Fremden in das Eigene ist somit die Strategie des Lebens schlechthin. Der aneignende Charakter des Lebens schlägt auch voll auf das Wissen durch und bestimmt die Natur des Wissens: Wissen ist das Ergebnis der Anverwandlung empfangener Daten an die Verständigkeit des Beobachters, also eine Interpretation von Daten, auch Information genannt, wodurch aus dieser Verschmelzung von objektiven und subjektiven Elementen zu einer neuen Einheit eine neue Wirklichkeit mit eigenen Mechanismen entsteht, die wir die geistige nennen. Zeilinger macht daher mit Recht den von ihm selbst so genannten "radikalen Vorschlag", dass man sagt: "Wirklichkeit und Information sind dasselbe." Denn geistig können wir nur mit dieser aus Interpretationen bestehenden geistigen Welt umgehen, die daher unsere Wirklichkeit ist!* Dass wir geistig mit der uninterpretierten realen Welt umgehen ist eine Illusion. Oder wie Goethe es sagte: "Das höchste wäre zu begreifen, dass alles Faktische schon Theorie ist." Oder eben Interpretation, wie ich sage.
*s. hierzu auch das Buch von Gerhard Roth "Das Gehirn und seine Wirklichkeit"

Da die geistige Wirklichkeit aber nicht ohne das Vorhandensein einer außergeistigen Realität zu verstehen ist, in der wir uns als Lebewesen behaupten müssen, gilt es eben den aneignenden Charakter des Wissens zu beachten. Wäre Wissen nur das Abbild einer fremden Welt, wie die Realisten glauben, wäre uns das Gewusste so fremd wie diese Welt selbst und damit als Wissen nicht hilfreich. Deshalb muss das Lebewesen den durch die Sinne hereinströmenden Daten relevante Bedeutungen verleihen - dies ist die eigentliche schöpferische Aufgabe des Gehirns, die von naiven Realisten völlig ausgeblendet wird. Erst die Bedeutung ist das Wissen, auf das wir uns denkend und handelnd beziehen. Die selbst generierten Bedeutungen, wie Freund oder Feind, Beute oder Sexualpartner, trägt das lebendige System an die Phänomene heran und probiert, inwieweit sie für sein Überleben hilfreich sind. Analog trägt auch der Physiker selbst generierte physikalische Eigenschaften an die Dinge heran und probiert, inwieweit sie dadurch für ihn handhabbar werden. Zeilinger dazu: "Wir haben gesehen, dass die übliche Sicht, die Welt besäße ihre Eigenschaften, unabhängig von uns und unabhängig von der Beobachtung, so nicht stimmen kann." So ist unser Wissen zuerst einmal ein Handlungs- und Herrschaftswissen, das die Dinge für unsere Zwecke instrumentalisiert. Es beachtet nur, was die Dinge für uns sind. Was sie für sich selber sind ist dabei nicht von Interesse, soweit es nicht zu Problemen kommt, wie dem Umweltproblem. Hierbei merken wir, dass es für die Gestaltung unserer Zukunft nicht reicht, nur auf das Für-uns-Sein der Dinge zu achten, sondern dass es erforderlich ist, zweckfrei und respektvoll sich ihrem Für-sich-Sein zu nähern. Vereinfachend kann man sagen, statt der männlichen Strategie des Ergreifens, führt uns hier die weibliche Weise der liebenden Hinwendung und Aufgeschlossenheit zum Verstehen. Vom Wissen zum Verstehen zu kommen, um die Zukunft erfolgreich zu gestalten, gehört für mich zur kommenden Aufgabe des Wissen Schaffenden.

Die Mittel der Aneignung des Fremden in der Kognition
Ein wichtiger Zugang zum Wesen des fremden Anderen ist die Intuition, nicht nur die weibliche. Hierbei versetzt sich die eigene Ganzheit, in die des Anderen, die hinter den Erscheinungen steht. Sich in der Wissenschaft auf Intuition zu verlassen, wo es nicht um Momentaneindrücke geht, halte ich jedoch für leichtfertig, so wichtig Intuition ist. Daher müssen wir stets versuchen, uns selbst gegenüber eine kritische Distanz zu finden. Doch wie finden wir sie? Wir können die Weise unseres Erkennens zwar nicht ablegen, so wie wir die Sprache nicht hintergehen können, doch wir können die Subjektivität meistern, indem wir die Weise unseres Erkennens ins Kalkül stellen - die wir dazu natürlich kennen müssen! Indem der Quantenphysiker sich seiner Rolle bewusst wurde, konnte er seine Aussagen so objektivieren, dass seine Physik bis heute klaglos funktioniert.

Welches sind also die Mittel der Aneignung der Außenwelt, die uns Wissen geben und die es zu beachten gilt? Um in meiner Redezeit zu bleiben, werde ich hier die m.E. wichtigsten aufzählen und nur kurz erläutern. Ansonsten verweise ich auf meine Internetseite WEGE DENKENS mit dem Aufsatz in III/3 "Das Verstehen des Verstehens", der ein Resümee meiner erkenntniskritischen Überlegungen ist. Aber jeder ist auch aufgefordert, selbst weitere Mittel der Aneignung zu finden und mir ggf. zur Verfügung zu stellen, erhebt meine Darstellung doch keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Hier nun meine Liste der wichtigsten Mittel, mit denen Daten zu Informationen werden:

  1. Die antagonistischen Wertungen
  2. Der Attributationsmechanismus sowie die Analogie und Metaphorik
  3. Das Erinnerungsvermögen
  4. Das Zeiterkennen
  5. Das Herstellen von Relationen und eines Reiches des Möglichen

1. Die antagonistischen Wertungen
Ganz generell kann man sagen, dass sich alles Wahrnehmen und Denken auf antagonistischen Skalen bewegt, mit denen wir die Erscheinungen nach ihrem Eindruck bewerten. Ganz sicher hat das Sehen einst mit Hell-Dunkel-Unterscheidungen begonnen, bevor es, zur besseren Kontrastierung, die Umsetzung der Lichtreize in Farben erfand. Wegen der vergleichenden Art aller Erkenntnis, werden nicht nur Phänomene antagonistisch bewertet, wie hell-dunkel, laut-leise, schwer-leicht, sondern auch Personen und Ideen werden nach gut oder böse, schädlich oder nützlich usw. unterschieden mit dem Ergebnis, dass die Welt scheinbar in zwei widerstreitende Lager zerfällt, die nichts miteinander gemeinsam habe. Es ist klar, dass wir es uns mit diesen antagonistischen Unterscheidungen zu einfach machen und der Mitwelt nicht gerecht werden können, weshalb wir dann Probleme mit ihr bekommen.

2. Der Attributationsmechanismus
In Ermangelung eines objektiven Wissens schließt der Mensch von sich auf andere, wobei er dem Anderen ihm vertraute eigene Eigenschaften und Motive unterstellt - man könnte auch sagen: auf das Fremde projiziert -, sei dieses Andere nun ein Lebewesen oder ein totes Objekt. Hat er dadurch das Fremde sich ähnlich gemacht, glaubt er dann, es zu verstehen. Aristoteles sagte dazu, dass Ähnliches durch Ähnliches erkannt würde. Freilich, ob die Dinge, die wir zu verstehen glauben, uns wirklich ähnlich sind, oder ob wir sie uns nur ähnlich gemacht haben, sagte er nicht, denn das bedarf einer fallweisen kritischen Untersuchung. Die Verähnlichung geschieht als tierisches Erbe ganz instinktiv und automatisch und ist u. a. die Quelle des Animismus. Ganz erstaunlicherweise - für Skeptiker aber eher nicht - ist auch in den so modern sein wollenden Naturwissenschaften die Selbstreferenz immer noch das stärkste Argument. So beurteilen Physiker immer noch Dinge und Systeme nach dem noch dazu antagonistischen Kriterium von Ruhe und Bewegung, obgleich ihre Gegenstände keinerlei Bewegungsorgane haben, um dieser Rede einen objektiven Sinn geben zu können. Sie sprechen von Sonne, Mond und Sterne wie von Kühen auf der Weide, die entweder wiederkäuend ruhen oder grasend sich bewegen, weshalb es ihnen nicht gelingt, ihre Objekte in sachlich zutreffender Weise zu beschreiben, wenn wir von Newton absehen, der heute leider nicht mehr verstanden wird, und der sachlich richtig sagte, dass ein jeder unbeeinflusste Körper in seinem Zustand "verharrt", gleich ob wir ihn als "bewegt" oder "ruhend" ansehen. Für sich verharrt er, für uns als Interpretierende ist er entweder "ruhend" oder "bewegt", wobei die Ruhe nur der Grenzfall der Bewegung ist und keine eigene Eigenschaft. Würden Physiker daher anstatt von der "Bewegung" sachlich richtig vom Ortswechsel einer Sache sprechen, wäre sofort klar, dass es sich nicht um die objektive Eigenschaft einer Sache handelt, da ja "ihr Ort" und damit auch "ihre Geschwindigkeit" folgenlos nur im Bezugssystem des Beobachters existieren.

Den Attributationsmechanismus sehe ich auch bei Biologen am Werk, wenn sie ständig mit der "Anpassung" argumentieren, ist doch die Anpassung die dem schlauen Beobachter eigene Strategie des Überlebens, weshalb sie ihm auch für die Evolution so plausibel erscheint. Doch der objektive Vorgang der Veränderung in der Evolution ist kein solcher der Anpassung mit dem Ergebnis der Passung, sondern einer der genetischen Verzweigung, was man im Zeitalter der Molekularbiologie doch wahrlich wissen könnte. Und es überleben bei starken Veränderungen der Umwelt eher die unspezialisierten Arten, die nicht zu eng an die weg gebrochene Welt angepasst waren. Und demonstriert der Mensch, als das unspezialisierteste Wesen überhaupt, nicht selbst am besten, dass das Leben kein Prozess der Anpassung, sondern der Überwältigung ist? Er macht sich die Welt so passend, wie er sie braucht.

Im Zusammenhang mit dem Attributationsmechanismus sind auch noch Analogie und Metaphorik zu erwähnen, mit denen wir uns ebenfalls einen Sachverhalt in verfälschender Weise verständlich machen. Doch ist ihr Gebrauch in der Regel kein Automatismus, sondern eine bewusste Hilfe, die unsere Not belegt, objektiv zutreffende Aussagen machen zu können. Der Versachlichung, d.h. der Annäherung an die Sache, wäre es in der Wissenschaft und bei ihrer Publizierung daher dienlicher, von Analogien und Bildern nur einen sparsamsten Gebrauch zu machen und sich ihrer Stellvertreterfunktion bewusst zu bleiben, werden doch durch Medien verbreitete Analogien von der Öffentlichkeit gleich für die Sache selbst gehalten.

3. Das Erinnerungsvermögen
Durch das Erinnerungsvermögen kommen völlig neue Eigenschaften in die Welt, die es Lebewesen gestatten, mit ihr erfolgreich zu interagieren, z. B. durch den von ihm erzeugten Bewegungseindruck. Erinnern ermöglicht Vergleiche. Durch den Vergleich abfolgender Bilder ist es Lebewesen möglich, Veränderungstendenzen zu erkennen und dadurch Kommendes vorauszusehen und ggf. darauf zu reagieren. Veränderungen werden ihm durch den Bewegungseindruck signalisiert, ohne dass dadurch schon ausgesagt ist, dass eine objektive Veränderung oder Bewegung vorliegt, wie es sie bei Lebewesen gibt, die sich aus eigenem Antrieb und durch eigene Mittel und damit objektiv, nämlich von selbst bewegen, was in der Antike die Definition des Lebendigen war. Man hat heute ganz vergessen, was schon Aristoteles über die Wahrnehmung von Bewegung und Größe feststellte: "Da ist nun am meisten die Wahrnehmung dem Irrtum ausgesetzt." Und dass von den vorsokratischen Eleaten, "Parmenides und Melissos und ihre Anhänger", überliefert ist, dass sie lehrten, "dass sie [die Bewegung] nicht existiert", nämlich als eine objektive Eigenschaft eines Unbelebten, kommt diese doch nur dem Belebten zu. Solche antiken Weisheiten und die Erfahrungen mit dem Kino hindern aber Physiker leider bis heute nicht, mit dem illusionären Bewegungseindruck physikalisch zu argumentieren.

4. Das Zeiterkennen
Auch zeitliche Eigenschaften werden uns durch das Erinnerungsvermögen geschenkt. Zeitphänomene gibt es nur in der zeitlichen Betrachtung eines Beobachters! Und sie setzen eben ein Gedächtnis voraus! Die Zeit ist also kein eindimensionales Gas, das mit Pfeilen durch das Universum eilt und die Dinge zum Altern bringt, sondern die Zeit ist eine physikalische Größe, die - wie alle anderen Größen und ihre Maßeinheiten - definiert werden muss, will man einen Maßstab in die Hand bekommen, mit dem gemessen werden kann. Die Zeit ist nicht das durch Uhren zu Messende, sondern das Maß des Messens, nämlich das der Dauer, die als Differenz zweier durch das Hilfsmittel Uhr gegebener Zeitpunkte ermittelt wird. Daran ist überhaupt nichts Geheimnisvolles, was irgendeiner weiteren Erklärung bedarf. Privat weiß das jeder. Und sobald Physiker wieder lernen, Zeit und Uhr zu unterscheiden, d.h. das Geistige als eine eigene Wirklichkeit zu respektieren, die mit ihren Regeln für das Verstehen sorgt, werden auch sie keine Probleme mehr mit der Zeit haben, die ja nicht stehen bleibt, wenn eine Uhr abläuft oder kaputt geht. Es ist klar, dass bei richtiger Einsicht in das Wesen von Zeit und Bewegung, wir eine andere Physik bekommen werden.

5. Das Herstellen von Relationen und eines Reiches des Möglichen
Relationen sind Beziehungen, die ein Beobachter zumeist automatisch und damit unbewusst herstellt. Relationen können formal, also nur für den Beobachter existierend sein, oder real, also auch in der Sache vorliegend, was jedoch von Fall zu Fall erst zu ermitteln ist und nicht im Vorhinein feststeht. Eine reale Beziehung besteht z. B. zwischen zwei Körpern durch die sie verbindende Schwerkraft oder zwischen einer Lichtquelle und dem Empfänger ihres Lichts, eben durch das die beiden verbindende Licht. Am häufigsten hat jedoch der Mensch mit Relationen zu tun, die er rein geistig zu seinem eigenen Verständnis herstellt, so wenn er sagt, dieser Apfel ist größer als jener, oder der Bäcker A ist weiter weg als der Bäcker B, oder Franz läuft schneller als Fritz. Größer zu sein, weiter entfernt zu sein oder schneller zu sein, oder das Gegenteil, sind keine Eigenschaften, welche Dinge für sich selber haben, sondern die nur in den Augen des Beobachters existieren. Sie entstehen durch geistige Verknüpfungen. Durch Verknüpfung ordnen wir dem Wahrgenommenen uns Verständnis gebende Eigenschaften zu, die der Gegenstand nicht für sich selber hat, z. B. auch die der Bewegung, d.h. der Ortsveränderung. So gibt es auch hier die Mischung aus objektiven und subjektiven Elementen, wodurch etwas Neues entsteht, mit dem wir uns die Dinge geistig und real verfügbar machen, also ein Herrschaftswissen gewinnen, das uns z. B. nach dem größeren Apfel greifen und, um Zeit zu sparen, zu dem näheren Bäcker gehen lässt. Und wenn wir dem Fritz den schnelleren Franz hinterherschicken, dann können wir ziemlich sicher sein, dass er ihn einholt. Die Interpretation von Wirklichkeit geschieht also nicht nur durch die Zuteilung einleuchtender Eigenschaften, sondern auch durch intellektuelle Verknüpfungen, wodurch wir die Dinge geistig in den Griff bekommen, z.B. durch Messen, wie ja alle Wahrnehmung ein Messen ist. So können wir eine Distanz messen, ohne dass es eine Sache "Distanz" gibt. Überhaupt werden nicht Dinge gemessen, sondern immer nur Aspekte von Dingen, von den Metrologen "Merkmale" genannt, die wir auf Grund unseres geistigen Vermögens an die Dinge herantragen. Messen ist also etwas rein Geistiges und setzt den Begriff der benutzten Größe und einen definierten Maßstab voraus. Das ganze Messwesen ist - als Ausdruck von Macht - eine Vereinbarung unter Menschen, um gemeinsam mit der Welt erfolgreich umgehen zu können.

Aber aus dem Erfolg von Handlungen kann nicht auf die Objektivität von Annahmen geschlossen werden,
sondern nur auf die Zweckmäßigkeit des Vorgehens, um eine fremde Sache zu einer eigenen zu machen.

Nicht ein Körper "besitzt" die Eigenschaften "Ort", "Bewegung", "Geschwindigkeit" und "Richtung" sondern der Mensch besitzt intellektuell die Fähigkeit, durch Benutzung eines Maßsystems, ihm diese Eigenschaften zuzuordnen und aus dem sich daraus ergebenden Wissen Folgerungen zu ziehen, z. B. über die Energie des Körpers, die er bei der Begegnung mit einem anderen Körper in Abhängigkeit von der Menge seiner Materie hätte. Solange es nicht zu einer Begegnung kommt, gehört diese Energie rein zum Reich des Möglichen, das nur im Kopf des Beobachters existiert, während die Begegnung zum Reich des Realen gehört, in dem sich, unabhängig von einem Beobachter, etwas ereignet. Nur Ereignisse sind real und daher ist es zum Verständnis des Wissens wichtig, zwischen der virtuellen und der realen Welt zu unterscheiden, wie das die Quantenmechanik tut, ohne sich dazu immer recht erklären zu können, wie Zeilingers Buch belegt, weshalb er hier mit Recht auch eine Aufgabe der Philosophie sieht.

Schlussfolgerung
Der aneignende Charakter des Lebens beantwortet auch die Frage nach der Natur unseres Wissens und Verstehens. Die von uns zu gebende notwendige Reaktion darauf ist die Aufklärung der Beobachterrolle. Ohne ihr Verständnis bleibt alles Wissen vorläufig. Daher muss es das Ziel von Philosophen und Wissenschaftlern sein, zu einer interdisziplinären Wissenschaft über die Bezogenheit aller Dinge und allen Wissens von ihnen zu kommen, unter Berücksichtigung des Beobachters und seiner kognitiven Strukturen. Sie wäre eine Gesamtwissenschaft, die diesen Namen verdient und die durch Aufklärung unserer beutegreiferischen Antriebe geeignet wäre, Humanität und Kultur in einzigartiger Weise zu fördern. Wenn wir am Beginn des neuen Jahrtausends innehalten und uns fragen, was wir bisher nicht erreicht haben und was daher die zukünftige wichtigste Aufgabe von Gesellschaft und Wissenschaft sein muss, so wäre es diese Vernetzung und Humanisierung unseres Wissens. Sie wäre ein Fortschreiten vom Wissen zum Verstehen und wissenschaftlich das Ende eines bloßen Instrumentalisierens von Fakten für Paradigmen und Theorien und damit deren Ende.

    Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Autor:
Helmut Hille, Heilbronn
FV DD, Mitglied des AK Phil

zum Weiterlesen
s. (III/3) "Das Verstehen des Verstehens" auf  WEGE DES DENKENS


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