Meine Kolumne "Philosophische Sentenz des Monats" auf der kommerziellen Website "Geschenke aus den Museen der Welt".
Philosophische Sentenzen von 2010 - Links zum Weiterlesen ggf. aktualisiert


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Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2010
Evolution contra Schöpfungsglaube? (I)
15.01.2010

Es ist m.E. falsch, zwischen der Idee der Evolution und den Aussagen der Bibel einen absoluten Gegensatz zu sehen. Im Gegenteil! Wie vieles in ihr, äußerten sich ihre Autoren in Gleichnissen, die auf das Verständnis und das Wissen ihrer damaligen Hörer abgestellt sind. "Im Anfang schuf Gott die Himmel und die Erde." Kosmologen sehen das noch immer so, dass das Universum einen nicht erklärlichen Anfang hatte. Die 6 Tage, an denen nach Aussage der Bibel Gott die Welt schuf, sind dabei die gar nicht so falsch gesehenen kosmologischen und geologischen Epochen. Es wird doch niemand ernstlich glauben, dass mit ihnen unser 24-Stunden-Tag gemeint ist. "Und die Erde war wüst und leer, und Finsternis war über der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte über den Wassern." Wie Wasser ganz richtig als Voraussetzung allen Lebens gesehen wurde, so wurde auch richtig verstanden, dass eine schöpferische Potenz hinzukommen muss, damit Leben entstehen kann, sei es in der "Ursuppe" und/oder in den Tiefen des Wassers, den Hydrothermalquellen. Denn Leben als emergente Eigenschaft der Materie bedient sich der Materie, kann also mit ihr allein nicht erklärt werden. Und steht nicht auch im ersten Buch Mose: "Und Gott sprach: Die Erde lasse Gras hervorsprossen, Kraut das Samen hervorbringen, Fruchtbäume, die Frucht tragen nach ihrer Art." Und es steht auch: "Die Erde bringe hervor lebendige Wesen nach ihrer Art: Vieh und Gewürme und Getier der Erde nach seiner Art." Freilich war das Zutrauen zur Erde nicht sehr groß, weshalb es anschließend heißt, dass Gott das Getier und Vieh dann doch lieber gleich selber machte. Aber was heißt das schon, dass Gott etwas "machte"??? Und wie "machte" er es denn? Wenn es im ersten Buch Mose heißt, dass Gott Adam aus dem Staub des Erdbodens bildete, dann ist das m.E. nur die Kurzfassung der gesamten biologischen Evolution. Und musste nicht auch Gott auf Adams DNA in Form einer Rippe zurückgreifen, um aus ihr ein verwandtes Wesen machen zu können?

Arbeitet die Evolution des Lebens nicht ganz ähnlich, vorhandene Ressourcen ökonomisch immer wieder nutzend? Machen heißt doch nur, dass eine ewige Potenz existiert, die damals wie heute alles bewirkt. Und sie ist in den Dingen! Und wenn der "intelligente Designer" wirklich intelligent war, dann hat er sich entlastet und andere für sich arbeiten lassen, wie das große Chefs immer noch tun. Besser aber noch: die Evolution ist selbst jene große Intelligenz, für welche, im Gegensatz zum Menschen, weder die Zeit noch die Zahl der Objekte eine Rolle spielt, da ihr Vorrat an beiden unendlich ist, die einfach durch Emergenz immer neue Möglichkeiten eröffnet, ohne das da von außen etwas mühsam gesteuert werden muss.

Der Zufall ist so kein Zufall, sondern er liegt im Gesetz der großen Zahl begründet, das alles irgendwann und irgendwo ermöglicht, ohne dass da jemand lenkend eingreifen muss. Und wenn die Bibel für Adams Seele und Geist den Odem Gottes bemüht, dann trägt sie dem Rechnung, dass beide als emergente Eigenschaft rein materiell nicht erklärt werden können. Gerade eine Emergenz bedenkende Wissenschaft lässt uns die genannten Aussagen des ersten Buch Mose als erstaunlich sinnvoll verstehen. Umgekehrt sind sie daher auch nicht als Argumente gegen die Erkenntnisse der Wissenschaft über die Entwicklung des Lebens geeignet - soweit diese undogmatisch sind. Dass Anfänge nicht völlig aufgeklärt werden können, ist kein Gegenargument, sondern ist im Wesen von Emergenz begründet, deren Ergebnis aus den beteiligten Wirkpartnern nicht abgeleitet werden kann. Alle Anfänge liegen notwendig im schöpferischen Dunkel. Das kreative Moment des emergenten Prozesses ist die eigentliche, nicht aufhebbare Unschärfe aller Forschung, was auch von Forschern noch nicht immer verstanden wird.

Leseempfehlung s. Teil II


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Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2010
Evolution contra Schöpfungsglaube? (II)
15.02.2010

Leben als eine neue Qualität des Daseins ist die Selbstorganisationsform einer Materie, die durch ständige Aufnahme von Energie und durch Reproduktion sich von selbst durchhält, indem sie fremde Strukturen auf deren Kosten zu ihrer eigenen macht. Leben ist kein Prozess der Anpassung, sondern der Überwältigung! Als aneignende und sich vermehrende Struktur ist Leben von Natur aus "böse". Da gibt es nichts zu beschönigen.

Aber alles ist EIN LEBEN. Alles lebt von- und füreinander. Mit Genvielfalt und Immunstrategien versucht es, sich gegen die eigenen Aggressionen zu schützen. Die Vielfalt des Lebens entstand, als es ihm gelang, unterschiedliche Gene zu mischen (geschlechtliche Fortpflanzung), was zum Auftauchen neuer Charaktere führte und auf Dauer durch Genvarianten und ggf. Isolierung in Biotopen auch zu Unterarten und neuen Arten. Symbiotische Beziehungen sind ferner ein Hinweis darauf, dass neue Lebensformen auch durch Kombinationen von Einzelorganismen entstehen können. Auch hier ist die Existenz unterschiedlicher Qualitäten Voraussetzung von Vielfalt. Parmenides, aus einem Geschlecht von Medizinern, beschrieb in der Antike diesen Trieb zur Mischung so: "bei allem und jeden - das Mehr an Mischung nur ist ihnen Gedanke." Auf diese Weise ist der geheime Schöpfer potentiell in allen Dingen. Und wenn die Voraussetzungen gegeben sind, tritt er in Erscheinung.

Alle sollten so intelligent sein, zwischen dem Glauben und der Wissenschaft keine unüberbrückbaren Grenzen zu sehen, sondern sollten versuchen, die eine Sprache in die andere zu übersetzen. "Der Buchstabe tötet. Doch der Geist macht lebendig." Haben wir also Geist. Beider Lehren sind Ausdruck des jeweiligen Wissens und der jeweiligen Reife und Artikulierungsfähigkeit von Menschen. Auch die Wissenschaft ist nicht das Ende des Wissens, ist sie doch zumeist nur ein Wissen für uns und damit vorläufig. Zudem wird sie noch an vielen Stellen vom doktrinären Geist eines platten Materialismus durchweht, der alles rein physikalisch "erklären" möchte. Theologen und Naturwissenschaftler müssen sich also mehr Mühe geben. Doch schon Papst Johannes Paul II. hat in seiner Klugheit im Oktober 1996 vor der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften die Evolution "mehr als eine Hypothese" genannt. Und der Wissenschaft muss das Verstehen der Dinge unter Berücksichtigung der Beobachterrolle folgen. Dieses selbstkritische Verstehen nennt man Weisheit.

Parmenides aus Elea (ca. 540-480): "Mit dem Verstand erschaue das (scheinbar) Abwesende als ein beständig Anwesendes..."

Heraklit (ca. 544-483): "Wenn das Unerwartete nicht erwartet wird, wird man es nicht entdecken,..."

Alles Lesen:
WEGE DES DENKENS - II. Das Verhältnis von Denken und Sein
(II/18) Mein Weltbild. Ein Extrakt/2. Der geheime Schöpfer
http://www.helmut-hille.de/weltbild.html#2


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Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2010
Können Instrumente messen?
15.03.2010

Manchmal ist es notwendig, sich mit scheinbar ganz einfachen Fragen zu beschäftigen, um zu grundlegenden Einsichten zu kommen. So ist zum Beispiel auch in den Medien immer wieder die Rede davon, dass Uhren die Zeit messen. Doch die Zeit kann überhaupt nicht gemessen werden, ist sie doch das Maß des Messens, nämlich das der Dauer. Nur die kann gemessen werden! Und Maße müssen zuerst definiert und in Instrumente umgesetzt werden, damit man überhaupt etwas messen kann, denn alles Messen ist ein Vergleichen. Also muss es eine bekannte Vergleichseinheit geben. Maße sind so keine Frage der Wahrheit sondern der Geltung anhand von nationalen und internationalen Normen, die zu ihrer Geltung der Vereinbarung bedürfen. Instrumente zeigen nur an. Erst der Mensch, der eine Anzeige, zumeist eine Zahl, abliest und sie dann geistig mit der Größeneinheit verbindet, welche zu der Zahl gehört, gewinnt auf diese Weise ein quantitatives Wissen, z.B. aus der Differenz zweier Raumpunkte das Wissen um eine Länge. In einer Uhr werden uns Maße jedoch nicht wie auf einem Maßband nebeneinander sondern hintereinander gegeben. (Dieser Unterschied von Raum und Zeit ist unaufhebbar.) Hier bedarf es zusätzlich also noch des menschlichen Gedächtnisses, um aus der Differenz von zwei hintereinander gegebenen Zeitpunkten die Dauer eines Ereignisses zu ermitteln. Die Uhr selbst weiß nichts von Differenzen. Sie läuft einfach weiter.

Es gehört zur menschlichen Betriebsblindheit, die eigene Rolle in den Erkenntnisvorgängen nicht wahrzunehmen. Im Alltag mag dies auch kaum von Bedeutung sein. Doch ein Wissenschaftler muss sich stets Rechenschaft über sein Tun und Reden ablegen, will er Wissen gewinnen und nicht nur eine Meinung haben und verbreiten. Redet er nur wie im Alltag üblich so daher, so mag zwar jeder glauben, ihn zu verstehen, doch eine Erweiterung des Denkhorizontes und des Wissens wird er damit nicht erreichen können. Gerade in einer Zeit, wo menschliches Handeln immer zerstörerischer in die Natur hineinwirkt, wäre eine Selbstbesinnung auf unser Tun und Denken lebenswichtig. Fangen wir also damit an, indem wir uns z.B. klar machen, dass wir immer selbst die Messenden sind und somit auch die Verantwortung für das Messen haben, wie wir überhaupt als Menschheit mehr Verantwortung zeigen müssen, wollen wir auf Dauer ein erträgliches Leben haben.

Zum Weiterlesen:
WEGE DES DENKENS - I. Rationale Grundlagen der Physik
(I/A6) Messen als Erkenntnisakt
http://www.helmut-hille.de/messenal.html


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Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2010
Der Hund denkt mit
15.04.2010


Anmerkung von Frau Sandforth-Blanken:
Nicht erst seit Loriot's "Sprechendem Hund" wissen wir die Intelligenz des Hundes zu schätzen. (Loriotkarikatur von ihr dazugegeben)

Unter dem Titel "Der Hund denkt mit" wird im Wissenschaftsmagazin der Max-Planck-Gesellschaft vom Herbst 2009 über die bisherigen Ergebnisse der Forschung zu "sozialen Erkenntnismöglichkeiten verschiedener Tierarten" berichtet. Dabei ging es vor allem darum herauszufinden, inwieweit sozial lebende Tiere menschliche Gesten und Wörter richtig zu deuten wissen. Dabei schnitten Hunde besonders gut ab, was man sich dadurch erklärt, dass es für sie "von Vorteil ist, sich besonders gut mit ihm (dem Menschen) zu verstehen", leben sie doch mit ihm in enger Gemeinschaft. Eine Versuchsanordnung war, ein "Leckerli" unter einer von zwei Bechern zu verstecken und mit dem Finger auf den Becher zu zeigen, unter dem das Leckerli zu finden ist. Während Affen darauf nicht reagierten, wussten die Hunde den Fingerzeig zumeist gleich richtig zu deuten. Dabei waren die Hunde nur zufällig in die Forschung mit einbezogen worden, weil beim vergeblichen Versuch mit Affen ein anwesender Doktorand bemerkte: "Mein Hund kann das aber." Es stellten sich dann noch weitere bemerkenswerte Ergebnisse mit Hunden heraus.

So gibt es den neunjährigen Border Collie "Rico", der "mehr als 200 verschiedene Spielzeuge anhand ihres Namens erkennen und zuordnen kann." Er brachte sogar ein Spielzeug, "dessen Namen er noch nie gehört hatte und das er auch nicht kannte", weil nur dieses es sein konnte. "Tatsächlich löste Rico auch diese Aufgabe auf Anhieb und wedelte damit ganz nebenbei eine weitere Alleinstellungstheorie vom Tisch. Denn auch diese Art, Begriffe zu lernen - das fast mapping -, galt bis dato als exklusive Fähigkeit des Menschen."

Ich bin immer wieder erstaunt darüber, wie selbstverständlich Forscher kognitive Fähigkeiten exklusiv beim Menschen sehen, als sei dessen Geist vom Himmel gefallen und nicht das Ergebnis einer langen Evolution der Lebewesen. Besonders Wissenschaftler neigen dazu, sich selbst zu überschätzen, Tiere aber zu unterschätzen – weil sie als zumeist Großstadtmenschen mit ihnen nicht vertraut sind. Da mussten schon Verhaltensforscher wie Konrad Lorenz sich auf die kognitive Ebene von Graugänsen begeben, um ihre Sprache zu verstehen und mit ihnen sprechen zu können, wie es dem heiligen Franz nachgesagt wird. Es bedarf eben einer heiligen Einfalt oder Demut, um unseren Mitgeschöpfen gerecht zu werden. "Welpen aller Alterstufen nutzten die Zeigegeste als Hinweis auf das Futterversteck gleich gut und wählten den richtigen Becher aus", was für die Forscher in Leipzig als Hinweis gewertet wird, dass diese Fähigkeit angeboren ist. Es ist erfreulich, dass man sich jetzt auch in der Wissenschaft bemüht, andere Lebewesen zu verstehen, während einfache Bürger, die mit Tieren zusammenleben, schon längst um deren Fähigkeiten wissen. Der Ursprung unserer Sprache ist die viel ehrlichere Körpersprache, die überall im Tierreich verstanden wird, so dass umgekehrt eine im TV gezeigte "Pferdeflüsterin" in einer Arena Pferde nach Belieben rein durch ihre Körpersprache in Richtung des Tieres dieses veranlassen konnte, schnell oder langsam links oder rechts herumzulaufen, stehen zu bleiben, zu flüchten oder zutraulich zu kommen. Aber auch das Abgeben von Reaktionslauten zählt für mich noch zur Körpersprache. Und auf der Körpersprache aufbauend haben sich durch Differenzierung der Laute bei Ausbildung eines geeigneten Sprechorgans die kognitiven Fähigkeiten des Menschen entwickelt.

Zum Weiterlesen:
WEGE DES DENKENS - III. Die Hervorbringung des Menschlichen
(III/1a) Die Generierung des Geistigen
http://www.helmut-hille.de/page24.html


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Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2010
"Zwei Menschen, die die Welt so noch nicht gesehen hat ..."
15.05.2010

...und wohl auch nie wieder sehen wird" sagte Nachrichtensprecher Dave Wagner im TV (RTL II), der die autistischen Zwillingsschwestern Flo und Kay Lyman aus New Jersey 13 Jahre lang mit der Kamera begleitete. Sie sind lebendige Parallelcomputer, wissen alles und vergessen nichts. Auf die Frage von Dave "Wie macht ihr das nur" sagten sie lapidar "Ist doch ganz einfach", wie überhaupt ihre Antworten eher beiläufig kommen. Flo und Kay machen alles gemeinsam und sprechen von sich fast immer in der Wir-Form. Die auffällig geistig behinderten eineiigen Zwillinge versuchte ihre Mutter vor der Öffentlichkeit zu verstecken. Erst als sie 39 Jahre alt waren, wurde die medizinische Diagnose "Autisten mit Savantsyndrom" gestellt. Zuvor glaubte man, dass ihre Mutter eine eiskalte Person wäre, weshalb die beiden sich auf sich selbst zurückgezogen hatten. Doch ihre Mutter war mit den sehr eigenwilligen Zwillingen und zwei weiteren Kindern einfach nur überfordert.

Um mit der ihnen wenig verständlichen Mitwelt zurechtzukommen, müssen Flo (Florence) und Kay (Kathrin) feste Regeln einhalten, die Außenstehende als "geistige Unbeweglichkeit, Besessenheit und Zwänge" erleben. Wendet man sich ihnen jedoch liebevoll zu, sind sie ganz wunderbare sanfte Menschen, glücklich und ausgeglichen, "immer gut drauf", nicht ohne Humor und Selbstironie. "Ich bin ein Apple Computer und Kay der von Microsoft" sagte Flo einmal augenzwinkernd. Dave brachte die Zwillinge zu Darold Treffert in Wisconsin, dem führenden Savantforscher in den USA, der auch Berater bei dem Film "Rain Man" mit Dustin Hoffman war, der die Diagnose bestätigte. "Die Savants stellen ein einmaliges Fenster ins menschliche Gehirn dar. Solange wir das Savantsyndrom nicht verstehen, werden wir niemals verstehen, wie unser Gehirn funktioniert" sagte Treffert schon 2006 in der TV-Sendereihe "Expedition ins Gehirn". Heute denkt man, dass Störungen der für die Kommunikation zuständigen linken Gehirnhälfte durch die rechte Hälfte, in der u.a. das Gedächtnis verortet ist, teilweise kompensiert werden – aber eben vor allem mit rein faktischen Gedächtnisinhalten, während die mangelnde soziale Kompetenz bleibt. Doch können intelligente Autisten lernen, mit diesem Mangel mehr oder weniger geschickt umzugehen. Beheben lässt er sich nicht.

Flo und Kay können sich aber nicht nur alles im Detail merken, wie das Wetter, das Essen oder die Kleidung eines TV-Moderators, sondern können augenblicklich beliebige Daten den Wochentag zuordnen, ein Phänomen, das bei Savants öfters anzutreffen ist. Im CT konnten die Forscher jedoch keinerlei Auffälligkeiten ihrer Gehirne registrieren, was die Zwillinge sehr beruhigte. Nach dem Tod ihrer Eltern übernahm ihre sie liebende jüngere Schwester Jane die Vormundschaft und sie lernten endlich durch sie, sich in der Öffentlichkeit zu bewegen. Sie sangen sogar gemeinsam vor Publikum. Besonders hängen sie aber an dem TV-Moderator Dick Clark und seiner Sendung „Die 100.000 Dollar Pyramide“ von der sie über 20 Jahre lang keine versäumten. Während die Sendung lief, war für sie ihre Welt in Ordnung. Der schönste Tag ihres Lebens war, als Dick Clark sie persönlich zu einer Geburtstagsparty eingeladen hatte und sie sich mit ihm 25 Minuten lang unterhalten konnten. Als später die Sendung abgesetzt wurde, brach für sie eine Welt zusammen, war Clark für sie doch Vaterersatz und persönlicher Erlöser. Er war derjenige, der am längsten in ihrem Leben Bestand hatte, weshalb sie sich wünschen, einmal mit allen Erinnerungsstücken an ihn "in unseren Sarg" begraben zu werden, um mit ihm verbunden zu bleiben. Leider ist inzwischen auch noch die sie beschützende jüngere Schwester verstorben und sie leben nun bei ihrem Bruder und dessen Frau, die jedoch auf Dauer mit den durchgeplanten Alltag der Zwillinge überfordert sind. "Irgendwann wollen wir alleine leben, selbständig" ist der Wunsch der inzwischen 53-jährigen. Doch bis dahin ist für sie noch ein langer und ungewisser Weg. "Aber sie sind Überlebenskünstlerinnen, wahrscheinlich schlauer als wir", sagte der Mann von Jane im TV.

Zum Weiterlesen:
WEGE DES DENKENS - II. Das Verhältnis von Denken und Sein
(II/15) Autismus als Forschungsgebiet. Formen des Autismus
http://www.helmut-hille.de/autismus.html


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Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2010
Was unser Gehirn über unsere Gedanken verrät
15.06.2010

Am 9. Mai 2007 veranstaltete die Gottlieb Daimler- und Karl Benz-Stiftung ihr 11. Berliner Kolloquium zu dem Thema: Gedankenforscher. Was unser Gehirn über unsere Gedanken verrät. Die Veranstaltung erfolgte in Zusammenarbeit mit dem Bernstein Center for Computational Neuroscience Berlin und dem Universitätsklinikum Charité Berlin.

Meine spontane Überlegung dazu war: „Gedanken werden die Hirnforscher doch wohl nicht lesen können." Da hatte ich mich aber geirrt! Offensichtlich begleitend zu der Veranstaltung wurde im seinerzeit aktuellen Heft (1/2007) der MaxPlanckForschung in der Rubrik „Forschung aktuell" von einem Mitarbeiter des Berliner Bernstein Centers for Computational Neuroscience über „Gedankenlesen mit dem Tomografen" berichtet. Danach erfolgt dieses „Gedankenlesen" „in einem klar definierten Versuchsablauf", wodurch es den Forschern mit Hilfe der Magnetresonanz-Tomografie gelingt, „die Absichten ihrer Versuchspersonen schon im Voraus zu entschlüsseln". Dabei ging es aber lediglich um die Entscheidung der Testperson, ob sie zwei Zahlen addieren oder subtrahieren will.

Dazu hatten die Wissenschaftler zuvor festgestellt, „dass Intentionen nicht in einzelnen Nervenzellen gespeichert werden, sondern in einem räumlich verteilten Muster neuronaler Aktivitäten". Anhand des Musters der Gehirnaktivität in einem bestimmten Areal erkennen die Forscher, ob der Proband eine Addition oder Subtraktion plant. Es handelt sich hier also um eine Zwangsführung des Denkens mit zwei Alternativen, mehr nicht. Trotzdem betrug die Trefferquote nur 70%.

Erst recht werden dann freie Gedanken, so wenn ich überlege, was ich am heutigen Tag alles vorhabe, (erfreulicherweise) wohl nie auf diesem Weg aufgeklärt werden können, worauf sich mein Kurzkommentar „Gedanken werden die Hirnforscher doch wohl nicht lesen können" bezog. Durch sensationelle Aufmacher versuchen Forscher bzw. Presseabteilungen zuerst Aufmerksamkeit zu erregen und dann durch das Versprechen von weit in der Zukunft liegender eventuell brauchbarer Ergebnisse Forschungsgelder einzuwerben. So auch hier.

Alles Lesen:
WEGE DES DENKENS - II. Das Verhältnis von Denken und Sein
(II/16) Anmerkungen zur Erkenntnistheorie/Monat April
http://www.helmut-hille.de/gedanken.html#hirn


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Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2010
Konrad Lorenz als Theoretiker
15.07.2010

Jeder, der schon einmal im Fernsehen Konrad Lorenz im Umgang mit seinen Graugänsen gesehen hat, hat auch Seewiesen gesehen, auf dessen Gelände Lorenz mit den Gänsen nach dem Kriege experimentierte. Da er beim Schlüpfen der Graugänse das erste lebendige Wesen war, das die Küken zu sehen bekamen, waren sie auf ihn geprägt und folgten ihm. Mit Konrad Lorenz und seinen Gänsen wurde so auch das Max-Planck-Institut für vergleichende Verhaltensforschung in Seewiesen in Oberbayern weit über Deutschland hinaus bekannt. Die Gemarkung Seewiesen liegt zwischen Starnberger und Ammersee versteckt in einem Waldgelände und man musste damals schon eine gute Karte haben, um hinzufinden. Aber es war kein Problem, das Gelände zu besichtigen. Vorn am Eingang war ein Teich, in dem Hunderte von Fröschen laut quakten. Sie tauchten erst weg, als ich einen kleinen Stein hineinwarf. An den Gebäuden konnte ich ablesen, wer dort arbeitete. Konrad Lorenz und die Gänse aber bekam ich natürlich nicht zu Gesicht. Konrad Lorenz, Anfang des Krieges an der Universität Königsberg lehrend, griff damals eine These von Kant auf, wonach uns unsere Erkenntnismechanismen "a priori", also von vornherein gegeben wären, wie die Unterscheidung von Raum und Zeit. Lorenz setzte dem entgegen, dass diese Mechanismen sich während der Evolution entwickelt hätten z.B. als Antwort auf das Problem der Orientierung von Lebewesen. Er wurde so einer der führenden Begründer der Evolutionären Erkenntnistheorie.

So richtig der Ansatz dieser Theorie ist, so fehlte es ihr aber an grundsätzlichen Überlegungen, die man philosophische nennt, weshalb sich die Theorie letztlich mit einem "hypothetischen Realismus" begnügen musste, der beruhigend davon ausgeht, dass die Dinge schon so sein werden, wie sie uns erscheinen, was jedoch nur eine neue Variante des naiven Realismus ist. Da waren die chilenischen Biologen Maturana und Varela schon von anderem Kaliber. Sie hatten erkannt, dass Lebewesen selbstreferentielle Systeme sind, die gelernt haben, mit den Signalen der Außenwelt nach ihren Bedürfnissen zweckmäßig umzugehen, denn nur diese Fähigkeit konnte die Evolution selektieren. Sie haben unser Erkennen mit dem Steuern eines U-Bootes verglichen, wo auf bestimmte Anzeigen der Instrumente hin die zugehörigen, an der Erfahrung orientierten Entscheidungen getroffen werden müssen. Mehr ist nicht erforderlich. Wahr ist dem Menschen auf diese Weise, was sich bewährt, was ja nicht die schlechteste Art von Wahrheit ist. Alle theoretischen = geistigen Wahrheiten dagegen sind Wahrheiten aus 2. Hand, die sich an geistigen Kriterien wie der Logik orientieren, aber viel zu oft auch am Zeitgeist, die sich letztlich aber auch in der Praxis bewähren müssen, um auf längere Zeit bestehen zu können.

Zum Weiterlesen:
WEGE DES DENKENS - III. Die Hervorbringung des Menschlichen
(III/4) Anmerkungen zu Schriften über Erkenntnistheorie 3. Text
Meine Buchsprechung zu Maturanas Buch "Was ist erkennen?"
http://www.helmut-hille.de/anmerkungen.html#3


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Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2010
Geschichte als das Geschichtete
15.08.2010

Auf WEGE DES DENKENS in der Datei (L7b) unter dem gleichen Titel abgelegt.

Zum Weiterlesen:
WEGE DES DENKENS - III. Die Hervorbringung des Menschlichen
(III/2) Die Genese des Lebens und das Wesen des Wissens
http://www.helmut-hille.de/page25.html


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Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2010
Alles was Augenschein ist
(eigentlich: "Was alles Augenschein ist")
15.09.2010

In der Jugend lernt man, dass alles verlässlich existiert, was man sehen und anfassen kann. Der Physiker Ernst Mach bestritt deshalb Ende des 19. Jahrhunderts die Existenz von Atomen, weil man sie nicht sehen kann, was inzwischen nicht mehr ganz so stimmt. Dabei kennt die Sprache aus gutem Grund den Begriff des Augenscheins, der eben besagt, dass vieles Schein ist, was wir mit den Augen wahrnehmen. Für Gehirnforscher ist gerade der Augenschein der beste Anlass, die Rolle des Beobachters und damit seines Gehirns näher zu untersuchen. Das beginnt mit dem Farbensehen, das eine Interpretation unterschiedlicher Wellenlängen des Lichts ist, wobei jene Wellenlängen ins Auge gelangen, die von Gegenständen reflektiert werden, also sich gerade nicht mit ihrer Oberfläche verbunden haben. Was uns "blau" erscheint, ist es also gerade nicht, abgesehen davon dass der Farbeindruck sowieso erst im Kopf entsteht. Das spielt jedoch keine Rolle, da das Gehirn in seiner langen Geschichte der Evolution gelernt hat, mit Sinneseindrücken zweckmäßig umzugehen. Sind die Dinge dann wenigstens da, die wir sehen? In der Regel schon, auch wenn wir von Sinnestäuschungen wie einer Fata Morgana wissen. Aber was ist mit einer Distanz, die wir sehen, z.B. zwischen 2 Fahrzeugen, die sich auf der Straße bewegen? Gibt es denn eine Sache Distanz? Aber wir sehen sie doch!

Und das ist im Straßenverkehr sogar sehr wichtig. Was wir sehen, ist aber eine Leistung des Gehirns, das 2 Gegenstände mit dem Begriff der Distanz verknüpft. Wir merken also, dass das Gehirn Eigenschaften an die Dinge herantragen muss, um mit ihnen in tauglicher Weise umgehen zu können. Das beginnt bereits mit dem Sehen der Dinge und Lebewesen selbst. So wie man eine Sprache und Schrift kennen muss, um die Schrift lesen zu können, muss man schon vor dem Sehen wissen, was die optischen Charakteristika von Autos und Kühen sind, um etwas als Auto oder Kuh erkennen zu können. Ein von Geburt an Blinder, dem als Erwachsener das Augenlicht "geschenkt" wird, hat dann zwar Lichteindrücke, aber keine Seheindrücke, weil er nicht weiß, was das ist, was er da sieht. Die Lichteindrücke werden ihn also mehr verwirren als behilflich sein.

Und ist etwas wenigstens "bewegt", wenn wir es als bewegt wahrnehmen, d.h. es zu unterschiedlichen Zeiten an unterschiedlichen Orten antreffen und dies vergleichen, wie z.B. den Ort der Sonne im Lauf des Tages? Bewegt sich also die Sonne? Das war ja der große Streit zwischen Astronomen und der Kirche, die sich auf den Sinneseindruck verlassen wollte, weil dies auch die Schreiber der Bibel taten. Zudem konnte Galilei keinen Beweis dafür liefern, dass sich die Erde, d.h. der Beobachter mit ihr bewegt, sondern dass dies nur eine vernünftige Annahme war. Das Problem geht aber noch viel tiefer, denn in Wahrheit haben unsere Sinne nur Momenteindrücke, wissen also gar nichts von Zeit und Bewegung. Erst das Gedächtnis macht aus unzähligen Einzelbildern durch deren Speicherung, Verknüpfung und Überlappung die bewegte und zeitliche Welt, die wir kennen und in der wir uns orientieren, und die uns nicht zuletzt Musik und Sprache und damit unser Menschsein schenkt, hörten wir anderenfalls doch nur einzelne Töne und Laute ohne Zusammenhang. Unsere kontinuierliche Welt ist also ein sehr komplexes Konstrukt des Gehirns, wobei auch noch erst die Verknüpfung dieser Augenblickseindrücke sie nur im Vergleich zu einem von uns selbst zumeist unbewusst gesetzten Bezug uns als "bewegt" oder "ruhend" erscheinen lassen. Ohne Orte kein Ortswechsel! Es bleibt also die Aufgabe der Vernunft, zwischen Sinneseindruck und objektivem Verhalten zu unterscheiden, was alles jenen nicht gelingt, die sich auf den Augenschein verlassen, weil dies ja so bequem ist oder weil man es sie so gelehrt hat, um keine Rolle des Beobachters, d.h. seines Geistes anerkennen zu müssen, was der ideologische Hintergrund von Machs These war, der jene Gesinnungsgenossen auch heute noch freudig zustimmen, die alles "ganz einfach" = rein materiell (was sie aber nicht sagen) erklärt haben wollen.

Zum Weiterlesen:
WEGE DES DENKENS - II. Das Verhältnis von Denken und Sein
(II/7) Das Gehirn und sein Ich. Eine notwendige Klärung
http://www.helmut-hille.de/lt13.html


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Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2010
Woher wir von einer Geschwindigkeit wissen
15.10.2010 - korrigiert

Um von der Geschwindigkeit eines Objekts zu wissen, benötigen wir als erstes den Begriff der Geschwindigkeit. Das ist keineswegs banal, sondern führt direkt in die inneren Mechanismen unseres Verstehens. Was ist also Geschwindigkeit? Geschwindigkeit ist das Maß des Tempos einer Ortsveränderung, also das Maß des Verhältnisses von Weglänge zur dafür benötigten Zeit. Es bedarf also einerseits zuvor festgelegter Maße der Länge und der Dauer ("Zeit" genannt) und sie verkörpernder Messmittel, wofür akribisch arbeitende Eichämter sorgen, andererseits benennbarer Orte, um Bewegung und deren Tempo überhaupt wahrnehmen und messen zu können. Einem einzelnem Objekt in einem leeren Weltraum kann also weder Bewegung noch deren Geschwindigkeit zugeordnet werden. Damit sind wir auch schon auf der Seite des Subjekts: der Beobachter muss also zuerst Objekte mit einem Bezugspunkt oder mit einem Bezugssystem, die nicht zum Objekt gehören, geistig verknüpfen, um einen Bewegungseindruck gewinnen zu können. Solche von Vorgaben des Beobachters abhängige Eigenschaften nennt man sekundäre Eigenschaften. Wir haben es hier also mit einer Leistung des Beobachters zu tun, auch wenn durch seine von der Evolution selektierten Mechanismen des Verstehens der Vorgang zumeist ein automatischer und unbewusster ist, der im Überlebenskampf ein schnelles Reagieren ermöglicht.

Jedoch ist damit die Rolle des Beobachters keineswegs vollständig beschrieben. Hier hilft uns der Begriff des Augenblicks weiter. In einem wirklichen kurzen Augenblick können wir weder die Bewegung eines Objekts sehen, geschweige seine Geschwindigkeit beurteilen, sondern wir sehen dabei nur das Objekt selbst und ggf. den von uns dazugegebenen momentanen Ort. Erst wenn wir die Lage des Objekts zu verschiedenen Zeitpunkten miteinander vergleichen, nehmen wir eine Ortsveränderung wahr – wenn denn eine erfolgt ist – und können dann anhand einer festgelegten Strecke mit Hilfe einer zuverlässigen Uhr deren Geschwindigkeit ermitteln. Im Alltag dagegen werden vom Wahrnehmungsapparat momentane Eindrücke gesammelt, verknüpft und miteinander verglichen, wodurch spontan ein Bewegungseindruck gegeben sein kann, auf den wir sofort reagieren können, z.B. wenn sich Autos oder Menschen uns nähern. Ohne diesen Mechanismus könnten wir nicht lange überleben. Wahrnehmung ist also immer auf das Überleben des Subjekts abgestellt und nicht auf den Gewinn einer objektiven, im Alltag nutzlosen Wahrheit. Wer sein Verstehen nicht versteht, versteht letztlich gar nichts.

Nun gibt es auch Objekte, die sich real "von sich aus" bewegen, ob sie nun beobachtet werden oder nicht, z.B. Lebewesen. Wenn Menschen gehen, bewegen sie im Vergleich zu ihrem Rumpf als Bezugssystem ihre Füße und Beine und dazu gegenläufig zumeist auch ihre Arme, um den Körper im Gleichgewicht zu halten. Doch um auch diese Bewegungen wahrnehmen zu können, bedarf es genauso der zuvor geschilderten Mechanismen, obgleich die Bewegung ja real ist. Die Wahrnehmung macht keinen Unterschied zwischen wahren und scheinbaren Bewegungen, z.B. der Sonne während des Tages über das Firmament, weshalb die Menschen geschworen haben, dass sich die Sonne "bewegt", obgleich sie ja, im Gegensatz zum Lebendigen, keinerlei Bewegungsorgane und auch keinen Bewegungswillen hat, es sei denn man ist Animist und sieht im Geiste alles voller Götter. Objektiv gesehen verharrt die Sonne, wie jeder unbelebte Körper, von sich aus ort- und zeitlos nur in ihrem Zustand (Newton, 1. Axiom), während die Erde sich echt um ihre Achse dreht (Winkelbeschleunigung), den Drehzustand erhaltend, der ihr bei ihrer Entstehung verliehen wurde. Diese Unterscheidung von realen und scheinbaren Bewegungen ist die Grundlage der ganzen Mechanik und als solche ein Akt der Vernunft und des Sachverstands.

Wo nun die Rolle des Beobachters bestritten oder einfach ignoriert wird, aus welchen Gründen auch immer, wird man natürlich auch nicht zwischen wahren und scheinbaren "Bewegungen" unterscheiden, schon weil man dort den Begriff des Scheinbaren nicht kennt, sondern alles für echt hält. Dadurch fehlt es zwangsläufig auch an Sachverstand, der sich nicht täuschen lässt. Ferner haben wir uns durch die modernen Fortbewegungsmittel daran gewöhnt, dass sich auch tote Objekte bewegen können, obgleich sie dies keineswegs von sich aus tun, sondern ihre Bewegung oder Fortbewegung in der Regel Ausdruck eines menschlichen Willens ist, was es eben auch noch zu bedenken gilt, wollen wir unser Umfeld verstehen. Wer also mit Bewegung und Ruhe physikalischer Objekte wissenschaftlich zu tun hat, aber die zuvor geschilderten komplexen Bedingungen einer Bewegungswahrnehmung und der Ermittlung einer Geschwindigkeit nicht berücksichtigt, um z.B. alles "ganz einfach" erklären zu können, kann dann auch keine objektiven Aussagen zur Sache machen, sondern pflegt nur seinen am Lebendigen geübten Bewegungseindruck, den Ernst Mach (1838-1916), die Vernunft verachtend, jedoch für besonders objektiv hielt (haha!), so ganze Physikergenerationen in die Irre führend, für welche die Beobachterrolle sowieso ein Buch mit sieben Siegeln ist. Ich aber finde, sie ist gar nicht so schwer zu verstehen wenn man sich Mühe gibt und nicht nur bequem, eben scheinbar nur "ganz einfach", gedankenlos seinen Seh- und Denkgewohnheiten folgt, wie dies Mach mit seiner "Denkökonomie" zur Tugend erklärt hat, die sich um Ursachen nicht kümmert, weil sie angeblich "metaphysisch" wären – in Wahrheit ein Nichtverstehen infolge mangelnden Sachverstands, der sich bei fehlender Unterscheidung von Sein und Schein einfach nicht einstellt. Der chinesische Weise Laotse (604 - ca.520) zu dieser Situation: "Wer alles leicht nimmt, findet lauter Schweres. Darum auch der Vollendete: er nimmt alles schwer, so findet er alles leicht."

Zum Weiterlesen:
WEGE DES DENKENS - I. Rationale Grundlagen der Physik
(I/B12) Die wahre Relativität der Bewegung
http://www.helmut-hille.de/lt9.html


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Helmut Hille
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Wozu 2 Gehirnhälften?
15.12.2010

Schon die einfache Tatsache, dass Menschen (wie andere höher entwickelte Lebewesen auch) zwei Gehirnhälften mit unterschiedlichen Funktionen haben, gibt den entscheidenden Hinweis, wie das Gehirn funktioniert. Die rechte Hirnhälfte ist dabei der Sitz des durch Erfahrung und Belehrung gewonnen Wissens, das dort jedoch zumeist nicht im Detail vorliegt, sondern aus ökonomischen Gründen zu einem Weltbild verarbeitet ist, quasi als hätte man aus Platzersparnisgründen eine große Zahl zu einer kurzen Quersumme verrechnet. Sie ist dabei Sitz des Unbewussten, das sich durch undifferenzierte Gefühle zeigt. Nach den Erkenntnissen der Hirnforscher ist die linke Gehirnhemisphäre Sitz der analytischen Fähigkeiten. Sie hat es mit Bewusstsein, Denken und Sprechen zu tun. Sie ist zuständig für die Objektebene mit ihren Oberflächen- und Zeitstrukturen, also mit den Details, die sie jedoch nicht selbst besitzt. Sie ist bemüht, das links explizit auszudrücken, was Menschen rechts implizit zu wissen glauben. Denken ist so der Dialog zwischen den beiden Hirnhemisphären. Wenn wir als Ergebnis des Denkens den Eindruck haben, dass verbaler Ausdruck - das explizit Gesagte oder Geschriebene - und das implizite Gewusste im Gleichgewicht sind, sind wir geneigt, es für "wahr" zu halten. Das ist zwangsläufig so, sind lebende Systeme doch unvermeidlich auch kognitiv autonom, also selbstreferentiell, auch in ihrem Urteilen, weshalb der Grund einer Wahrheitsempfindung nicht in einer äußeren, sondern in einer inneren Übereinstimmung zu suchen ist, denn niemand kann etwas für wahr halten, was er nicht weiß oder zu wissen glaubt oder was sich nicht aufgrund seines Wissens als Folgerung ergibt. Das kognitive System der beiden Hirnhälften ist für uns die Waage der Welt.

Für dieses System steht seit altersher das Bild der Göttin der Gerechtigkeit, die Justitia, mit der Waage in der hocherhobenen Hand, die mit verbundenen Augen - also rein geistig! - die Wahrheit erwägt. Das positive Recht ist so das Abbild unserer geistigen Situation: Urteile werden erwogen. Einmal durch das Urteil des Richters, was er aufgrund seiner rechts abgespeicherten Lebenserfahrung nach Vernehmung der Zeugen und Gutachter für faktisch gegeben oder sehr wahrscheinlich hält, und danach, wie diese Fakten aufgrund des ihm gegenwärtigen Strafrechts zu bewerten sind (er kann also auch durchaus mal Paragraphen übersehen). Es ist daher Illusion zu glauben, Menschen könnten sich bei ihren Urteilen auf eine außerhalb von ihnen liegende Instanz berufen. Das ist nur ein Trick des Gehirns, sich nicht in seine Karten schauen zu lassen, um weiterhin ungestört schnell urteilen zu können. Und viele fallen immer noch auf diesen Trick herein, auch Philosophen, oder haben nicht den Mut, sich zu ihrer Autonomie zu bekennen, um nicht für ihr Reden und Tun zur Verantwortung gezogen zu werden. Sie berufen sich lieber auf Autoritäten oder irgendwo gewonnene "Beweise", für die sie ja nicht verantwortlich sind, und ersparen sich so, auch noch selber zu denken. Das ist dann auch noch sehr ökonomisch. (Mach: Denkökonomie - für mich Denkfaulheit)

Zum Weiterlesen:
ZEIT UND SEIN - Texte in Versform
[4] Welche Wahrheit hätten Sie denn gern?
http://www.helmut-hille-philosophie.de/wahrheit.html


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