Januar 2004
Hat alles einen Anfang?Die menschliche Erfahrung ist, dass alles einen Anfang und ein Ende hat, nicht zuletzt der Mensch selbst. Dem hat der Mensch die Idee eines ewigen und unerschaffenen aber schaffenden Gottes entgegengesetzt, der für alles Endliche verantwortlich wäre. Über diese Idee kann nun unendlich gestritten werden: Ist Gott eine Persönlichkeit, eine Art Übermensch mit dem man von Person zu Person sprechen kann, oder ist er eine unpersönliche ewige Kraft? Hat Gott die Welt aus freien Willen heraus erschaffen und sie sich dann selbst überlassen, oder lenkt er alles Geschehen noch immer (zwanghaft) selbst? Über allen Streit hinaus bleibt jedoch festzuhalten, was die Wahrheit des Gottesgedanken ist, weshalb man ihn nicht so einfach abtun kann:
1. Es muss ein ewig Unerschaffenes geben, denn die Entstehung der Welt aus dem Nichts ist geistig nicht nachvollziehbar
2. Es muss permanent schöpferische Kräfte geben, die alle Dinge am Wandel erhalten, was offensichtlich ist (Heraklit: "Alles fließt!")Legt man seine dualistische Denkweise ab, die Gott und Welt getrennt sieht, dann verschwinden die genannten Probleme. Die Welt ist dann selbst das ewig existierende und im Wandel Befindliche und der sog. "Urknall" nur das Durchgangsstadium einer großen aber begrenzten Materiemenge, der unseren Kosmos hervorbrachte. Neben ihm gibt es unzählige andere mit eigener Geschichte. Ein solche aufgewertete, gewissermaßen "geheiligte" Welt bedürfen wir mehr als alle Streit verursachenden Gottesbilder. Nur wenn wir der irdischen Welt in Respekt und Liebe begegnen, können wir die gar nicht so selbstverständliche Existenzgrundlage des Lebens erhalten. Wenn wir sie wie bisher nur als eine endliche, zum Verbrauch bestimmte Ressource ansehen, dann werden wir sie auch verbrauchen. Wir müssen uns nur umsehen, wie weit die Menschheit damit schon gekommen ist. Darum ist es an der Zeit umzukehren und die Welt im Ganzen zu heiligen, nicht nur einzelne Menschen und Tiergattungen, wie Kühe oder Affen, einzelne Berge, Quellen, Bäume oder Orte. Überall sollte uns das Heilige begegnen: in anderen Menschen, in Tieren und Pflanzen, in Erde, Wasser und Luft. Nur so kommen wir zum Frieden mit der Welt. Wenn Gott die Liebe ist, wie Christus lehrte, dann ist es eine Liebe, die niemand und nichts ausgrenzt, weshalb er auch die Feindesliebe lehrte, auch wenn es ebenso wahr bleibt, dass jedes Lebewesen sich seiner Feinde erwehren muss. Aber hassen muss es sie nicht. Wenn sich Kirchen und Religionsgemeinschaften der ganzen Welt auf den zeitlosen Kern dieser Botschaft besinnen und sie leben, ohne Anders- und Nichtgläubige, Frauen und sexuelle Minderheiten, wie in Rom gerade erst wieder geschehen, auszugrenzen, dann wäre es ein wichtiger Schritt zu einer friedlicheren Welt. Ja, gerade den Kirchen müssen wir zurufen: Gott wartet nur darauf, in Gestalt der Liebe, die dem weltlichen Eigennutz entgegensteht, unter uns zu sein. Geben wir ihm und uns ein Chance. Machen wir einen neuen Anfang!
Februar 2004
Die Macht des UnbewusstenWer kennt nicht die Redewendung vor wichtigen Entscheidungen: "Lass' uns erst eine Nacht darüber schlafen." Die Erfahrung ist also, dass in der Ruhe der Nacht sich die Gedanken von selber ordnen und klären. Der Verstand arbeitet also auch im Schlaf. Oder auch einfach so beim Gehen. Und wenn er die Gedanken so sortiert hat, dass sich ein erhellendes Resultat ergibt, wird er uns dieses bewusst machen, z.B. durch eine Idee in Form einer Intuition. Träume dagegen legen uns in der Regel keine Resultate vor. Ich zähle sie daher zu den ordnenden Tätigkeiten des Hirns. Menschen bilden sich viel auf ihren Intellekt ein, doch in Wahrheit arbeitet dieser weitgehend unbewusst und vielleicht da gerade am besten, wie wir am Gewissen erkennen, das sich meldet, wenn wir eine weniger gute bis schlechte Entscheidung treffen oder getroffen haben. Daher ist es immer ein guter Rat, peinlich genau auf sein Gewissen, d.h. sein bestes und tiefstes Wissen und Denken zu achten. Aber es ist ebenso ein guter Rat, jede Eingebung auch anhand der bewussten Fakten zu prüfen, bevor wir ihr nachgeben. Nur auf diese Weise der zweifachen Prüfung - der unbewussten und der bewussten - erhält jeder das beste Resultat, das zu erkennen ihm möglich ist. Aber vielleicht finden wir im Diskurs mit anderen ein noch besseres Resultat, weshalb wir den Diskurs nicht versäumen sollten, wenn sich eine solche Gelegenheit zu ihm ergibt oder wir sie herbeiführen können.
Es gibt also nicht nur die Macht des Unsichtbaren, sondern auch die des Unbewussten (oder Unterbewussten), das es in der Medizin erst zu entdecken galt. Sigmund Freud machte die Menschen mit ihr zuerst bekannt. Leider war er einseitig rein auf sexuelle Motive fixiert. Seine Idee war jedoch prinzipiell richtig, dass die Macht des Unbewussten zumindest gemildert werden kann, wenn man sich die unbewusst herrschenden Antriebsmotive bewusst macht. Überhaupt war es immer schon das Ziel von Meditation, vor allem der fernöstlichen Religionen und Weisheitslehren, das Unbewusste für erwünschte Bewusstseinszustände zu konditionieren. Wir sind also dem Unbewussten nicht hilflos ausgeliefert, also unfrei, sondern wir können auf es zurückwirken. Dass dies Grenzen hat, wissen wir nur zu gut, denn über unsere Gefühle können wir nicht verfügen, weshalb wir uns mit ihnen identifizieren. Doch dann machen wir auch wieder die Erfahrung, dass sie vorübergehen und dass bei schmerzlichen Verlusten die Zeit Wunden heilt. So zur Ruhe gelangt, kommen wir in Harmonie mit uns selbst und wir werden gelassen. Und wenn wir Glück haben stellt sich Heiterkeit ein. "Alles in der Welt ist Torheit, nur nicht die Heiterkeit." (Friedrich der Große)
März 2004
Am Anfang war das Wort - stimmt das?Das Erlernen einer Fremdsprache beginnt damit, dass zu einem Wort der Muttersprache der fremdsprachliche Ausdruck dazugegeben und geübt wird. Fremdsprachliche Ausdrücke, die nicht 1:1 übersetzt werden können, werden in der eigenen Sprache umschrieben. Beim Lernen einer fremden Sprache, ebenso wie in der Evolution der Sprache selbst, steht am Anfang die bekannte Bedeutung eines Wortes. Wörter kann es daher beliebig viele geben, denen ein begrenzter Kanon von Bedeutungen gegenübersteht, die das geistige Reich des Sprechenden spiegeln. Bedeutungen wurden vorsprachlich einst durch durch Deuten und lautmalerische Äußerungen vermittelt, wie Kinder z.B. "wauwau" sagen, wenn ein Hund gemeint ist, in dessen Richtung sie deuten. Außerschulisch wird auch heute noch auf diese Weise eine Fremdsprache weiter gegeben, ggf. begleitet durch Körpersprache, die mehr oder weniger unmittelbar verständlich ist und dabei weitere, vor allem mentale Bedeutungen meint. Am Anfang war also nicht das Wort, sondern eine Bedeutung, die ein Hirn in der Auseinandersetzung mit der erlebten Welt gefunden hat. Sobald eine Gruppe von Menschen sich einig war, welche lautlichen Äußerungen welche Bedeutungen zuzuordnen sind, entstand die gesprochene Sprache, die im Laufe der Evolution mehr und mehr zu einer ins Geistige genommenen Auseinandersetzung mit der erlebten Welt führte, bzw. neue Welten konstruierte. Die elementare grammatikalische Form der Sprache, die Subjekt-Objekt-Beziehung, welche die Grundform des Satzes ist, spiegelt dabei die wichtigste geistige Operation der Sprechenden, nämlich die Zuordnung von Eigenschaften zu einer Person oder Sache. So kam der Mensch zur Sprache und es ist ihm aufgegeben, sie sorgfältig und kritisch anzuwenden, damit sie ihm im Überlebenskampf nützlich ist.
April 2004
Der Ursprung der IdeenWährend die Entstehung der gesprochenen Sprache durch evolutionäre Schritte plausibel gemacht werden kann (s. die vorhergehende philosophische Sentenz), bleibt die Frage, woher die Ideen kommen, z.B. die Idee der Freiheit oder der sozialen Gerechtigkeit, die ja immer dann am meisten bemüht werden, wenn die Verhältnisse gerade nicht so sind. Platon meinte, Ideen gäbe es schon ewig in einem Ideenhimmel und die genau so ewige Seele würde sich ihrer erinnern - d.h. Platon wusste es auch nicht, hatte nur eine phantasiereiche Hypothese, die mehr Fragen aufwarf, als sie beantwortete. Im "fortschrittlichen" Zeitalter des Materialismus, der alles Geistige auf Materielles reduzieren wollte, hieß es dagegen, das Sein bestimmt das Bewusstsein (Marx). Ideen wären also nur Abbilder der Wirklichkeit, vielleicht im Laufe der Zeit in das Gehirn hineindiffundiert. Doch wie könnten dann Unfreie zur Idee der Freiheit kommen? Ist es nicht eher so, dass wir zuerst die Idee von Zuständen haben müssen, um Zustände als solche erkennen und bewerten zu können? Ideen sind (ebenso wie Theorien) originäre Leistungen des menschlichen Geistes, die er an die Welt heranträgt und probiert, inwieweit sie ihm bei der Lösung seiner Probleme behilflich sind. Der Umgang mit Ideen ist es, der menschliche Geistigkeit ausmacht. Das Vorhandensein von Ideen beweist aber noch nichts über die Existenz ihres Inhalts - sondern "nur" die Existenz der Geistigkeit selbst.
Und das ist dann die Gefahr, die von Ideen ausgeht, wenn wir unkritisch mit ihnen umgehen: wenn wir sie für die Wirklichkeit oder, wie die Materialisten, für ein Abbild von ihr halten und alles Denken und Urteilen an einer (fixen) Idee ausrichten, wie es die Ideologen tun, die dann regelmäßig an der Wirklichkeit scheitern, sobald sie ins Politische gehen. Vorher scheitern sie leider zumeist nicht, denn "mit Worten lässt sich trefflich streiten, mit Worten ein System bereiten." (Goethe) Aber gerade wenn alles so einfach und überzeugend klingt, was einer vorträgt, kann es sein, dass wir genau dann von einer Idee verführt werden und in der Gefahr stehen von der Realität abzuheben. Aber es gibt kein vorherbestimmtes Verhältnis von Idee und Wirklichkeit, weil Ideen und Theorien reine Schöpfungen des Geistes sind, der - als Fortsetzung des schöpferischen Prozesses der Evolution auf einer neuen Ebene - immer wieder Neues hervorbringt, das sich, wie alles Lebendige, erst bewähren muss. Ideen so anzusehen heißt, sowohl ihnen gerecht zu werden, als auch die Gefahren zu bannen, die von ihnen ausgehen. Der menschliche Geist kann auf sie nicht verzichten, will er sich über die Niederungen körperlicher Abhängigkeiten erheben, aber er darf sie auch nicht überschätzen, sind und bleiben ihre "Wahrheiten" doch immer Wahrheiten aus zweiter Hand, über die immer die originären Wahrheiten des Lebens stehen sollten.
Mai 2004
Zehn Finger - Motor des GeistesDer Vormensch Australopithecus, der vor 2 bis 3 Millionen Jahren in Afrika lebte, war eine affenähnliche Kreatur mit kleinem Hirn, die aufrecht ging. Daher ist der aufrechte Gang kein "Produkt" des Menschseins, sondern eine seiner Voraussetzungen. Der aufrechte Gang ermöglichte die weitere Sensibilisierung der bereits existierenden Greifhand. Die Entwicklung des sprichwörtlichen Fingerspitzengefühls, u. a. durch Werkzeuggebrauch (Arbeit), machte die Hand zum zielführenden Organ des Verstehens. Die eingefahrene Verbindung von Verstand und Hand wird an der unwillkürlichen Gestik beim Sprechen erkennbar. Gehörlose können sich heute mit ihrer Hilfe detailliert verständigen, Blinde mit Hilfe ihrer Finger eine Spezialschrift "lesen". Auch das schnelle Schreiben Geübter im Zehnfingersystem auf einer Tastatur mit bis zu über 400 Anschlägen pro Minute ohne Hilfe der Augen, dokumentiert die innige Verbindung von Hand und Verstand/Geist.
In der Geschichte der Hominiden und ihrer Vorläufer wurde die Hand das Organ des Handelns. Durch sie bekam der Vormensch Gelegenheit, mit seinen Fingern handelnd zu begreifen und, mit Hand- und Fingerzeichen beginnend, sich explizit zu verständigen. Durch die damit verbundene weitere Ausformung der linken Hirnhälfte, mit der in der Regel die Rechtshändigkeit einhergeht, begann sich der menschliche Teil des Verstandes zu bilden. Was bei der Vermenschlichung des Gehirns durch die Sensibilisierung der Hände so zugenommen hat, ist die Fähigkeit, Bedeutungen zu generieren und mit ihnen ein immer reicheres Geistesleben zu entwickeln. Die reale und die verstandesmäßige Aneignung der Außenwelt gingen Hand in Hand: mit den Möglichkeiten des Greifens wuchs das Begreifen, aus dem Fassen wurde das Erfassen, aus der aufklärenden Gebärde des Deutens und Weisens das Beweisen. Durch die Differenzierung der die Körpersprache begleitenden Laute entwickelte sich die Begriffssprache. Dieser Prozess zeigt, was das Geistige ausmacht: Das Geistige ist die nach innen verlagerte Auseinandersetzung mit der Welt - unabhängig von ihren Gefahren (doch mit eigenen Risiken). Sprachlicher Ausdruck unterstützt und ersetzt schließlich die Gestik, weil er ökonomischer ist. Dass daran in beiden Fällen die gleichen Gehirnareale beteiligt sind, kann nicht überraschen. Dabei wirkt die artikulierte Sprache positiv auf das Vermögen zur detaillierten Aussage zurück, die ja eine Auseinandersetzung mit dem gefühlsmäßig Gemeinten ist. Der Philosoph arbeitet hierbei am Begriff, der Dichter an der Sprache. Während der Philosoph dem Leser nicht ersparen kann, an seiner Arbeit teilzunehmen, erhebt der Dichter den Leser aus den Mühen seines Tagwerks, weshalb er mehr geschätzt wird. Doch wir brauchen beide - Dichter und Philosophen - soll menschlicher Geist sich entwickeln.
Juni 2004
Venus vor SonneAls es am Vormittag des 11. August 1999 hier in Heilbronn wie in weiteren Gebieten Mitteleuropas dunkel wurde, weil der Mond die Sonnenscheibe verdeckte, konnte ich dank Wolkenlücken und einer Sonnen-Sicht-Brille im Park auf einer Bank sitzend das seltene Ereignis gut verfolgen. Diese Sonnen-Sicht-Brille hatte ich mir aufgehoben, vielleicht um einmal nach Sonnenflecken Ausschau zu halten, und so war es mir möglich, am 8. Mai 2004 den Venustransit direkt von meinem Dachfenster im Bad aus zu beobachten. Wie für viele andere Menschen auch, war dies für mich ein besonderes Ereignis meines Lebens. Nicht nur weil die Venus im Mittel nur alle 120 Jahre in unserer Perspektive über die Sonne zieht, sondern weil ich sie nun direkt als einen Schwesterplaneten der Erde ihre Bahn ziehend sehen konnte. Als jemand, der sich zwar sehr für den Aufbau der kosmischen Ordnung und die sie bewirkenden Kräfte interessiert, doch eigentlich nie durch ein Teleskop schaut, vermittelte mir der Transit eine ungewohnte konkrete Nähe der Venus, die mich tief berührte. Venus- und Erdbahn sind ja in der Tat sich am nächsten, während die Bahn des Mars fast zweimal so weit von der Erde entfernt ist. Und es kommt ja nur dann zu einem Transit, wenn Venus und Erde in der "unteren Konjunktion" sind, d.h. wenn sie auf einer Linie zur Sonne stehen und sich damit wirklich am nächsten sind. So bin ich froh, durch den Vorbeiflug unserer Schwester vor der Sonnenscheibe sie einmal direkt gesehen und wahr genommen zu haben. (Am 6. Juni 2012 wird sie in Mittel- und Südosteuropa einmal noch kurz in der Frühe zu sehen sein, dann erst wieder Dezember 2117, am europäischen Himmel sogar erst im Dezember 2125.)
2005 jedoch ist für die Physiker ein besonderes Jahr, nämlich der 100. Geburtstag von Albert Einsteins Spezieller Relativitätstheorie. Der wissenschaftstheoretische Hintergrund ihrer Entstehung ist die neopositivistische Lehre Machs, die Ursachen und damit auch die Rede von "Kräften" ablehnte, weil sie "metaphysisch" wären. So versuchte Einstein ohne den Kraftbegriff auszukommen und er entwickelte die Newtonsche Dynamik zur Kinematik zurück, wodurch, wegen des Fehlens von Ursachen, alles "relativ" wurde und somit Verständnis und Wissen verloren gingen. Positivistisch wäre also ebenso richtig zu sagen, dass der Schwanz mit dem Hund wedelt oder der Hund mit dem Schwanz. Oder man sagt besser noch, ohne jede Zuordnung, einfach "es wedelt". Dementsprechend heißt es im Buch des Nobelpreisträgers und Einsteinfreundes Max Born "Die Relativitätstheorie Einsteins" auch folgerichtig "Damit ist die Rückkehr zu des PTOLEMÄUS Standpunkt der 'ruhenden Erde' ins Belieben gestellt." "Daher haben von EINSTEINS Standpunkt gesehen PTOLEMÄUS und KOPERNIKUS gleiches Recht. Welchen Ausgangspunkt man wählt, ist Sache der Bequemlichkeit." Es stände also in unserem "Belieben" und es wäre eine "Sache der Bequemlichkeit", ob wir annehmen, die Erde dreht sich um ihre Achse oder das Universum umkreist die Erde, obwohl es, außer dem Augenschein, dafür keine physikalischen Gründe gibt. Die Physiker sind ob dieser genialen Wissensvernichtung immer noch begeistert (Hauptsache "genial"), weshalb sie Einstein 2005 auch groß feiern werden (zudem Einsteins 50. Todestag). Ich würde mir wünschen, sie hätten auch beobachtet, wie die Venus an der Sonne vorbeizieht, wie dies ja ebenso ihr Schwesterplanet Erde tut, um der Beliebigkeit von Annahmen ein Ende zu machen. Aber wenn man die Relativisten darob zur Rede stellen würde, wird sicher ein Schlaumeier antworten, wir könnten genauso richtig sagen, dass wir nur die Sonne an der Venus haben vorbeiziehen sehen. Bedenkt man aber die uns heute bekannte Größe des Universums dann müssten die fernen Galaxien mit unvorstellbarer Geschwindigkeit unterwegs sein, um jeden Tag die Erde ganz umkreisen zu können. Schon der Planet Neptun müsste dies mit Überlichtgeschwindigkeit tun, die es ja lt. Einstein angeblich nicht gibt. Als redlich denkender Mensch, und nicht erst als Philosoph, kann man hier nur an die Vernunft der Wissenschaftler appellieren, geistig souverän solch abwegige Gedankenspielereien endlich zu den Akten zu legen und zum Verständnis der Phänomene zurückzukehren, was dann für alle wirklich ein Grund zum Feiern wäre.
Einladung
Für Ingrid Blankens Webseite "Geschenke aus den Museen der Welt" schrieb ich:
"Ich lade Sie herzlich auf meine Webseiten ein.
Da gibt es nicht nur Philosophisches,
sondern auch Gedichte und Fotos."Ingrid Blanken (später: Sandforth-Blanken) hatte das m.E. richtige Gespür, dass, wer sich für Zeugnisse anderer Kulturen und Epochen interessiert, auch für Philosophisches aufgeschlossen ist, hat er doch das Verlangen, seinen Horizont zu erweitern. Daher denke ich, dass Ingrid Blankes Museumsshop umgekehrt auch für die Leser meiner Seiten von Interesse sein müsste und empfehle ihnen, das wunderbare Angebot und die kulturhistorischen Kolumen der anderen Autoren zumindest einfach mal in Augenschein zu nehmen.
Juli 2004
PROJEKT ZUKUNFT – Die Schwierigkeit, über sich hinaus zu denkenDes griechischen Philosophen Protagoras (480-410) berühmtester Ausspruch "Der Mensch ist (sich) das Maß aller Dinge" spricht das Problem an, mit dem der Mensch zu kämpfen hat: seine Schwierigkeit, über sich hinaus denken zu können. Das Problem hat zwei Ursachen: einmal den Zwang des Einzelnen, sich auf den eigenen Überlebenskampf zu konzentrieren, sodann das Fehlen eines objektiven Wissens. Wenn jedoch der Einzelne erkennt, dass er ökonomisch, geistig und kulturell auf andere Menschen angewiesen ist und sich darauf einstellt, beginnt er über sich hinaus zu denken. Heute, im globalen Zeitalter, müsste er dazu global denken, also bedenken, wie sich seine Handlungen global auswirken. Aber selbst ein globales Denken wäre heute in Anbetracht der Mächtigkeit der Menschheit zu wenig, denn der Mensch ist nicht nur Mitglied einer menschlichen Gruppe bzw. der Menschheit, sondern er ist auch auf Gedeih und Verderb Mitglied des Ökosystems Erde, eine Erkenntnis, die es wegen des eigenen Egoismus und des Gruppenegoismus immer noch schwer hat, akzeptiert zu werden, zumal Politiker geneigt sind, nur den eigenen Machterhalt in den Mittelpunkt ihres Denkens und Tuns zu stellen. Es ist also heute nicht mehr mit einer Ethik getan, die allein das menschliche Wohl zum Gegenstand hat, sondern die das Ganze bedenken muss: der Mensch in seinem Eingebundesein in dieses Ganze und seine Wirkungen auf das Ganze, das ja kein starres Ganzes sondern ein sich stetig wandelndes Ganzes ist. Der heutige Mensch muss also nicht nur räumlich über sich hinaus denken, sondern auch gerade zeitlich. Nur wenn er die Auswirkungen seines gegenwärtigen Verhaltens für das Ökosystem Erde und dessen Zukunft bedenkt, wird er eine Zukunft haben, die nicht durch Katastrophen bestimmt wird.
Die Schwierigkeit, über sich hinaus zu denken, besteht jedoch nicht nur in der Politik, sondern auch in der Wissenschaft, in der es ebenfalls in jeder Beziehung "menschelt". Auch in ihr geht es sowohl um den Autoritätserhalt Einzelner, als auch der durch Paradigmen verbundenen Gruppen durch die Verteidigung der eigenen Position bzw. des vertretenen Paradigmas um (fast) jeden Preis. Hier sollte sich der Laie keiner Illusion hingeben. Es ist die subversive Eigenart von Paradigmen, sich nicht selbst zu thematisieren, sondern sich als ganz "natürlich" und "objektiv gegeben" hinzustellen, weshalb sie so schwer auszumachen und zu durchschauen sind. Aber auch in der Wissenschaft muss es mehr denn je darum gehen, den eigenen Standpunkt und die eigene Disziplin zu transzendieren, soll sie zukunftsfähiger werden. Das PROJEKT ZUKUNFT sei das wichtigste Projekt der Menschheit, aber es ist eben auch das Schwierigste, weil es ja gilt, über den eigenen vertrauten Horizont hinaus zu denken.
August 2004
Lob und Heilung des ZufallsDen Zufall zu leugnen halte ich für ein großes Missverständnis. Ohne den Zufall wäre es wahrscheinlich nicht einmal zur Entstehung des Lebens gekommen, geschweige zu seiner Weiterentwicklung. Die Tendenz qualitativ unterschiedlicher Elemente, sich durch Aufnahme oder Abgabe von Energie zu verbinden, wodurch nach außen hin neue Qualitäten entstehen, ist in der Materie angelegt. Aber immer musste etwas Zufälliges geschehen, um die vorhandene Ordnung zu stören. So ist der Zufall das eigentlich schöpferische Element der Evolution. Hunderte von Millionen Jahren dauerte die genetischen Gefangenschaft des nur immer wieder sich selbst durch Zellteilung reproduzierenden Einzellers, bis es zur geschlechtlichen Vermehrung von Arten kam, ohne dass die Einzeller deshalb aufgehört hätten zu existieren. Es war eben nur eine neue Linie der Evolution entstanden, die den Zufall durch Erfindung eines Genpools instrumentalisiert hatte. Nun konnten sich die Gene ungeplant mischen, nicht nur durch die Wahl des Geschlechtspartners, sondern schon in der Meiose, der Reifungsteilung, durch die bereits im Zellkern des einzelnen Individuums die elterlichen Gene immer wieder neu zusammengestellt werden, weshalb auch Geschwister merklich verschieden sind, von eineiigen Mehrlingen abgesehen. Und letztlich ist durch Zufall aus mehreren frühen Hominidenarten, die über lange Zeiträume unverändert und zum Teil nebeneinander existierten, die eine übrig geblieben, die durch einen glücklichen Umstand ihre geistigen Fähigkeiten entwickelte und die diese nur weiter entwickeln kann, wenn sie ganz undoktrinär offen bleibt für alles, was da auch "zufällig" noch auf sie zukommen kann. Darum ist der Kampf gegen die Feinde der offenen Gesellschaft, die alles durch transzendente Gesetze auf ewig festgelegt sehen, so überlebenswichtig.
Die von den Gegner der offenen Gesellschaft gepflegte Annahme, ohne ein schon ewig existierendes Ziel der Geschichte – die menschliche Seligkeit, die klassenlose Gesellschaft oder der Weg des absoluten Geistes zu sich selbst – wäre diese sinnlos und ohne ein solch finales Ziel könne es keine verbindlichen moralischen Gebote geben, überzeugt eben nur jene, die eigene geistige Anstrengungen scheuen. Doch gewinnt der Mensch nicht sehr viel mehr Würde, wenn er fähig ist, seinem Leben selbst Sinn zu geben und somit das als sinnlos empfundene Zufällige zu heilen, in einem weiteren selbstschöpferischen Akt der Evolution? Freilich, eines gewissen Maßes an Weisheit bedarf es dazu schon. Vernünftige Ziele undoktrinär zu setzen, um das Leben sowie die Freiheit und Würde des Menschens zu entwickeln, sehe ich als eine immerwährende Aufgabe an.
September 2004
Gegen das dualistische Denken und für Notwendigkeit und ZufallEin gängiges Denkschema über das Funktionieren der Natur ist: wie es die Menschen und die staatlichen Gesetze und Vorschriften gibt, denen sie zu folgen haben, ebenso gibt es die materiellen Dinge und die Naturgesetze, denen sie unterliegen. Diese Naturgesetze sieht man entweder als von Gott den Dingen auferlegt oder mit dem Urknall "entstanden" an. Da gilt es schon als unkonventionell, wenn Nobelpreisträger Gerd Binnig die Gesetze sich mit dem expandierenden und abkühlenden Universum entwickeln sieht. Und wer ohne Gott auskommt und der Materie die Fähigkeit zur Selbstorganisation einräumt, hat möglicherweise trotzdem im Hinterkopf die Vorstellung, dass dies nach irgendwelchen Gesetzen geschieht und nicht einfach eine Folge der materiellen Struktur der Dinge ist. Meine These lautet: Naturgesetze sind Ausdruck des Soseins der Natur.
Die dualistische Welterklärung nach dem Schema menschlicher Herrschaft ist nur schwer abzulegen, weil der Mensch – in Ermangelung eines objektiven Wissens – immer von sich auf andere schließt, also vom Bekannten auf das Unbekannte. Und indem er das Unbekannte sich dadurch anverwandelt, glaubt er dann, es zu verstehen. Daher ist der Gedanke wenig populär, weil beunruhigend, dass das Wechselspiel der materiellen Dinge durch ihre eigene Natur bestimmt wird, also ursächlich ist – denn man denkt bei solcher Ungebändigtheit doch instinktiv: wo kämen wir da hin, wenn jeder macht, nach was ihm gerade zumute ist.
Dabei gibt uns die an der Erfahrung unzähliger Generationen abgeschliffene Sprache mit dem Begriff der "Ursache" und des "Ursächlichen", schon einen hervorragenden Hinweis darauf, wie es sich wirklich verhält: Die Ursache ist das, was in der Wechselwirkung aus den Sachen selber kommt. Das Geschehen ist daher geprägt von Notwendigkeit und Zufall: notwendig verhalten sich die Dinge gemäß ihrer eigenen Struktur. Doch welche Dinge unter welchen Umständen zusammentreffen und was sich daraus ergibt, ist – infolge fehlender Lenkung – zufällig. "Zufällig" heißt "ungeplant", nicht mehr und nicht weniger! Und diesen Gedanken der Zufälligkeit eines Zusammentreffens mit der Offenheit seines Ergebnisses und die Tatsache der nicht restlosen Aufklärbarkeit von ungestörten Anfangszuständen im Quantenbereich und die daraus sich ergebende Unschärfe der Prognose können deterministische Denker nicht ertragen, die deshalb einer ewigen vorausbestimmten (göttlichen) Ordnung bzw. sogar dem permanenten Einwirken Gottes den Vorzug geben, auch wenn sie nicht unserer Lebenserfahrung entspricht. Ein Gemeinwesen, das sich fatalistisch dem Gang der Dinge hingibt, beraubt sich der Fähigkeit, seine Zukunft in vernünftiger, d.h. der Situation angemessener Weise selbst zu gestalten, weshalb der Kampf gegen die Prediger des Determinismus uns alle angeht.
Oktober 2004
Was entscheidet über die Sicherheit unseres Wissens?Die Naturwissenschaft gehört zur Geschichte der Idee des "sicheren Wissens". Sie war und ist vom Optimismus getragen, durch Beobachten und Nachdenken ein "sicheres" Wissen über die Mechanismen des Naturgeschehens zu gewinnen. In diesem Drang ist es den Wissenschaftlern gelungen, auf vielerlei Wegen viel Wissen anzuhäufen. Unklar ist dabei geblieben, was letztlich die Sicherheit eines Wissens ausmacht. Das sicherste Wissen als Ergebnis physikalischer Forschung ist die fundamentale Erkenntnis über den Grad der Unsicherheit unseres Wissens über Ort und Geschwindigkeit eines Teilchens, Heisenbergs Unschärferelation. Die Unschärferelation ist der forscherischen Intention derart entgegengesetzt, dass sie a) für den Skeptiker glaubwürdig ist, weil ausgeschlossen werden kann, dass es sich bei ihr um das Ergebnis eines Wunschdenkens handelt, b) für die deterministische Fraktion der Physiker inakzeptabel bleibt. Wegen ihres starken Objektivismus hält die Fraktion darüber hinaus die Unschärfe nicht für eine Eigenschaft des Wissens, sondern für eine der Quanten, weshalb sie nicht aufhört, über die angebliche Verletzung der Kausalität durch die Quantenmechanik zu klagen, was jedoch scheinheilig ist, da es den Deterministen nicht um Kausalität = Selbstbestimmung, sondern um Determination = Fremdbestimmung geht.
Wissen ist immer ein Mittleres. Nur dadurch kann es zum Mittler zwischen Objekt und Subjekt werden. Ein "objektives Wissen" wäre ein Widerspruch in sich. Wissen bildet die Realität nicht ab, wie der naive Realist meint. Es ist keine Verdoppelung einer fremden und damit auch fremd bleibenden Realität. Sondern Wissen ist das Ergebnis der Anverwandlung der fremden Realität an die eigene. Durch umfassende Aneignung auf uns hereinströmender Daten werden wir in die Lage versetzt, mit dem fremden Gegenüber mental und real einen vertrauten Umgang zu pflegen.
Das beste Beispiel hierfür ist der lange Zeit herrschende Animismus. Das Geistige hat eine ihm eigene Kompetenz, die es auf Einflüsse von außen - wie bei allen Lebensvorgängen - autonom nur nach der eigenen Struktur reagieren lässt. Weil die Allgemeinbegriffe nur in unserem Kopf existieren, kann die Frage nach der "Wahrheit" allgemeiner Sätze im Sinne eines Beweises überhaupt nicht greifen. Hier ist für die Richtigkeit von Sätzen nur die eigene Verständigkeit Maßstab. So auf unsere kognitiven Fähigkeiten zurückverwiesen, müssen wir von diesen ausgehen und von ihnen her bestimmen, welches Wissen für uns möglich und akzeptabel ist. Ein solches Wissen wäre eben mehr als ein "Vermutungswissen" (Popper), setzten wir doch seine Bedingungen rational einsichtig selbst. Akzeptabel ist für mich nur ein Wissen, wenn es vor dem Forum der Vernunft besteht, denn die abwägende Vernunft ist unser höchstes Vermögen. Mit einem geringeren Kriterium sollten wir uns nicht begnügen. Als Inhaber dieses Vermögens müssen wir die Selbstverantwortung für unser Wissen erkennen und übernehmen. Wir können sie nicht allein wissenschaftlichen "Beweisen" aufbürden, die ja immer nur Hinweise im Kontext der gestellten Frage sind, in der Hoffnung, der Verantwortung für unser Sagen zu entkommen. Wäre allein die Plausibilität von "Erklärungen" von Fakten Maßstab für Richtigkeit, wäre die Wissenschaft Freibrief für Absurdes, denn Erklärungen sind beliebig, wenn sie nur den Zeitgeist treffen und so ein Publikum finden. Da kann es wissenschaftlicher sein - z.B. aufgrund der unstrittigen Erfahrung vom Vorliegen der Schwerkraft - nur ein mathematisches Konzept zu entwickeln, um mit dem Faktum in brauchbarer Weise umgehen zu können, wie einst Newton, im übrigen jedoch mit ihm zu sagen: "hypotheses non fingo" (Hypothesen erfinde ich nicht).
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