DPG-Tagung der Sektion Materie und Kosmos (SMuK) 2022 vom 21.03. - 25.03.2022 (virtuell)
3 Texte zur Rolle des Beobachters (Trilogie) - hier der 2. Text: der entfallene Vortrag

Die Natur der Allgemeinbegriffe

Abstract

Wenn man sich heute bei Physikern umhört müsste man glauben, dass die Frage nach der Natur der Allgemeinbegriffe sei zugunsten des Begriffsrealismus entschieden. Sie sprechen von in Normen festgelegten Messgrößen wie von realen Dingen, z.B. von der Zeit, dem Maß der Dauer, als etwas, was man messen, stauchen, dehnen und biegen könne. Wenn aber Maßeinheiten, die Normale, von äußeren Einflüssen abhingen, z.B. von der Geschwindigkeit der gemessenen Sache, dann gäbe es gar keinen sinnvollen Vorgang des Messens, Mangels gleichbleibender Normale könnte man auch nicht die behauptete Veränderung der Zeit messen. So eine Theorie hätte keine Grundlage. Noch dazu ist die Geschwindigkeit einer Sache nur etwas, was im Kopf des Beobachters existiert, der sie in Relation zu einer anderen Sache setzt, die ihm als Maßstab dient. Aber Unbelebtes ist nicht in der Lage Relationen herzustellen und sich nach ihnen zu richten, da diese kognitive Leistungen sind, die nur intelligenten Wesen zukommen. Materielles verharrt in seinem Zustand oder versucht bei Einwirkung ihn zu erhalten (Newton, 1. Axiom). Maßeinheiten sind keine Frage der Wahrheit sondern der Geltung. Messgrößen sind Aspekte, die wir an die Dinge herantragen, um sie uns verfügbar zu machen.

Referat

Der Sprecher des DIN-Ausschusses für Einheiten und Formelgrößen (AEF), ein Mathematikprofessor aus Kiel, Lehrstuhl für Logik, schrieb mir 1996 zur Situation im AEF wörtlich: "dass die Meinungen über den Größenbegriff, was ich sehr bedauere, weit auseinander gehen. Das ist der Grund, warum man (noch?) nicht von "der" Meinung des AEF sprechen kann." Es geht dabei um die Frage nach der Natur von Messgrößen. Sind sie etwas, was auch irgendwo real existiert (Begriffsrealismus) oder sind sie Erzeugnisse des menschlichen Geistes zur Beherrschung der Natur? (Nominalismus) Seit dem 11. Jahrhundert haben im Mittelalter Philosophen und Theologen heftig darüber gestritten, ob Allgemeinbegriffe auch real oder nur rein geistig existieren, der sog. Universalienstreit. Bekannt ist Ihnen sicher der Nominalist Wilhelm von Ockham (1288 - 1347)* mit Ockhams Rasiermesser, überflüssige Erklärungen zu unterlassen, um was es auch hier geht. So genügt es zu wissen, dass Messgrößen geistige Aspekte sind, die wir an die Dinge herantragen, um sie uns geistig und real verfügbar zu machen. Daher kann man z.B. eine Distanz messen, ohne dass es eine Sache Distanz gibt. Aber natürlich gibt es auch keine Sache "Länge", "Volumen" oder "Raum" usw. usf. - aber es gibt sie als Aspekte, mit denen wir geistig umgehen können. Um das geht es und das zu wissen genügt.
*bekannt auch durch den Film "Der Name der Rose".

Wenn man sich heute bei Physikern umhört, müsste man jedoch glauben, dass der Universalienstreit zu Gunsten des Begriffsrealismus entschieden wäre. Sie sprechen von in Normen festgelegten Maßgrößen wie von realen Dingen, so z.B. von der Zeit, dem Maß der Dauer, als etwas, was beim Urknall entstanden wäre und das man messen und wie ein Gummi biegen und dehnen könne. Dabei sind Maßeinheiten (Normale) keine Frage der Wahrheit sondern der Geltung - von Menschen vereinbart. Wenn aber Maßeinheiten durch äußere Einflüsse veränderbar wären, z.B. durch die Geschwindigkeit der gemessenen Sache, dann gäbe es überhaupt keinen sinnvollen Vorgang den man "Messen" nennen könnte. Es wäre dann auch unmöglich festzustellen, ob und in welchem Maße sich die Zeit bei Einflussnahme "ändert", da es dafür ja keine unveränderlichen Maßstäbe gäbe, die Voraussetzung für verlässliche Messaussagen sind. So eine Theorie erledigt sich von selbst. Sie ist aber eigentlich gar nicht so verwunderlich, hat sie sich doch der Autist Einstein ersonnen, dem es an Selbstwahrnehmung fehlte und der daher jegliche Rolle des Menschen, auch in der Wissenschaft, vehement bestritt. Keiner wusste warum er das tat, denn man wusste damals noch nichts vom Autismus. So ist die Physik seit über 100 Jahren verautistet. Noch dazu ist die Geschwindigkeit einer Sache etwas, was nur im Kopf eines Beobachters existiert, der sie in Relation zu einer anderen Sache setzt, die ihm als Maßstab dient, ob die Sache "ruht" oder sich und wie schnell "bewegt". Abgesehen davon, dass unbelebt Dinge keine Bewegungsorgane haben, um sich bewegen zu können, sind sie auch nicht in der Lage, Relationen herzustellen, da diese kognitive Leistungen sind, die nur intelligenten Wesen zukommen. So ist schon aus diesem Grund es Unbelebten unmöglich, sich nach Relationen zu richten. Unbelebtes verharrt teilnahmslos in seinem Zustand. Und bei Einwirkung versucht es diesen zu erhalten (Newton, 1. Axiom). Das sollte man unbedingt und als Erstes wissen und verstehen, wenn man Physiker werden oder sein möchte.

Einsteins extrem realistische Position ist seinem Autismus geschuldet und damit entschuldigt. Doch Menschen sind generell sowieso blind gegenüber dem eigenen Tun. Ein einfaches Beispiel: wir reden gern davon, dass Uhren die Zeit "messen". Doch messen ist der kognitive Vorgang des Vergleichens einer unbekannten Abmessung mit einer bekannten, damit die unbekannte Abmessung uns bekannt wird. Mangels kognitiver Fähigkeiten können Uhren daher nichts messen und nichts wissen - sie zeigen nur an! Uhren sind Zeitzeiger! Diese tiefe Ohnmacht gegenüber dem eigenen Tun gehört zur Taktik des Gehirns, sich nicht in die Karten schauen zu lassen, um ungestört schnell arbeiten zu können, um was es in der Wissenschaft jedoch nicht geht. Als sehr altes Organ hat es kein Vertrauen zu seinem jeweiligen Träger. Das muss man wissen, um mit ihm erfolgreich umgehen zu können. Man kann nicht wie Einstein Intuitionen blind vertrauen. Sie sind zwar wichtig, denn sie sind spontane Meldungen unseres Unterbewussten, das ein rationales Organ ist, das verstehen will. Doch wir kennen die Prämissen seiner Urteile nicht, die sich - wie festgestellt - oft an den Erwartungen seines Trägers orientieren, der sich dann wundert, dass ihm die Welt so verständlich erscheint. Diese Taktik des Gehirns, sich zu verstecken, ist die Ursache der Fehleinschätzung von Allgemeinbegriffen. Daher sollte man auch in der Wissenschaft beachten was Lenin seinen Genossen riet: "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser."

Statt Denkökonomie zu betreiben, d.h. so wenig wie möglich nachzudenken, weil man der Vernunft sowieso nicht traut (Einstein: Vernünftiges wären nur Vorurteile, die man bis zu seinem 18 Lebensjahr erworben hat - so kam es ihm wenigstens vor!) wäre es gut, wenn Studenten, bevor sie Physik studieren, Physiologievorlesungen besuchen würden, wo sie dann z.B. erfahren, dass Licht eine physiologische Erscheinung ist und keine Sache. Oder was Autismus ausmacht: die fehlende Empathiefähigkeit, sich in sein Gegenüber hineinversetzen zu können - ob im Leben oder in der Wissenschaft. Fortschrittlicher wäre es noch, sich mit der Neurophilosophie vertraut zu machen, wie ich sie hier vortrage. Das ist eine junge Richtung der Philosophie, die Erkenntnisse der Hirnforschung mit philosophischen Fragen verbindet. Nur weil das Gedächtnis Augenblickswahrnehmungen bewahrt und fortlaufend miteinander verbindet und vergleicht, gibt es das Erleben von Zeitlichen wie Bewegung und Veränderung, von Vorher und Nachher, sowie auch von Sprache und Melodien, also all dass, was das unser Menschsein ausmacht. Ohne diese Fähigkeit des Gedächtnisses hätten wir nur unverbundene Augenblickswahrnehmungen ohne eine über sie hinausgehende Bedeutung. Es gäbe nur Sprach- und Tonlaute ganz ohne Zusammenhang. Ein Verstehen wäre unmöglich.

Aber es geht noch weiter: wie wir wissen setzt das Gehirn als interpretierendes Organ nicht nur unterschiedliche Intensitäten von Strahlen in Farben um, sondern es macht durch Überlagerung der beiden durch die Augen vermitteln zweidimensionalen Bilder (es gibt keine anderen) ein einziges räumliches Bild, wie man es jederzeit selbst ausprobieren kann, Gleiches geschieht parallel beim Stereohören mittels der zwei Ohren. Zeitliches und räumliches Erleben sind also selbständige Leistungen des Gehirns und bedürfen keiner Sachen Zeit und Raum, die irgendwo draußen existieren und in das Gehirn hineindiffundiert wären. Das sind überflüssige Hypothesen, die zu vermeiden sind. Jeder denkt: was ich erlebe muss doch wahr sein! Aber es ist nur eine Wahrheit für uns, für das Überleben gemacht. Nicht für die Wissenschaft. Bedenken Sie also, was Sie sagen!

In der Natur existiert nur Einzelnes. Indem das Gehirn bei vielen Einzelnen gemeinsame Merkmale erkennt und benennen kann, kommt es zu Allgemeinbegriffen wie Steine, Fahrzeuge, Tiere, Menschen usw. usf. Allgemeinbegriffe sind eben ökonomischer als z.B. die Aufzählung mehrere verschiedener Tiere als Beispiel für die Gattung der Tiere. Das ist die wahre Denkökonomie, die rein der schnellen Verständigung unter Menschen dient. Und mehr gibt es dazu auch nicht zu wissen und zu sagen, wie schon Ockham lehrte! Vielleicht war Ernst Mach mit seiner Denkökonomie bereits auf der richtigen Spur, ließ sich jedoch vom Gehirn täuschen, das eben gern ungestört arbeiten möchte. Stören Sie es, wenn Sie Wissenschaftler sein wollen, fallen Sie nicht auf es herein. Es wird aber auch gern mit Ihnen zusammenarbeiten, denn es ist ein rationales Organ, das verstehen will. Und Sie sind dabei auch nicht fremdbestimmt, wie manche dank der Taktik des Gehirns glauben, denn es ist ihr eigenes verborgenes Selbst, das Sie schon als Gewissen kennen. Machen Sie sich mit ihm vertraut!

Autor:
Helmut Hille, Heilbronn
FV DD, Mitglied der AG Phil


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