DPG-Frühjahrstagung 2018 / Universität Würzburg
Referat vor dem FV GR - Gravitation und Relativitätstheorie (FV GR) 12.5 am Donnerstag den 22.03.2018
Das Janusgesicht der Determination
Abstract
Die Geschichte der Physik ist immer auch ein Teil der Geistesgeschichte und des Zeitgeistes. Davor schützen auch keine wissenschaftlichen Beweise, deren Interpretation oft genug dem Zeitgeist und den mit ihm verbundenen Erwartungen unterliegen, die bedient sein wollen. Anhand der Auffassung von Trägheit zeige ich, was seit der Antike die mehr oder weniger unbewusste Motivation der jeweiligen Vorstellung dieser wichtigen Eigenschaft von Materie ist und warum es heute wichtig ist, sich endlich ehrlich zu machen und die Dinge so zu sehen, wie sie sind. Schon Augustinus warnte: "Wer immer etwas hinter die Dinge zu sehen versucht, sieht am Ende die Dinge selber nicht mehr." Ich denke sogar: er hat sie vielleicht noch nie richtig gesehen.
ReferatLiebe Kolleginnen, liebe Kollegen, verehrte Anwesende,
in den Anfängen der Menschheitsgeschichte, als man noch der Natur ausgeliefert war, sah man - bereits nach Ursachen suchend - für das Naturgeschehen in Analogie zum Lebendigen unsichtbare lebendige Wesen am Werke, vornehmlich Geister und Götter, die man durch Opfer und Gebete gnädig zu stimmen suchte. Da dies nur selten gelang, begannen in der Antike kluge Köpfe darüber nachzudenken, ob da nicht stattdessen irgendwelche unbestechlichen Naturgesetze walten oder ob es gar die Eigenschaften der Dinge selber sind, die ihr Verhalten bedingen. Es entstand die Frage nach der Determination des Geschehens, wobei offen blieb, ob die Determination von der Natur der Dinge abhängt, ihnen also immanent ist, oder ob da irgendwelche Naturgesetze walten, welche die Dinge von außen lenken, ähnlich wie zuvor die Götter und Geister, doch eben unbestechlich. Haben wir uns diesen Unterschied jemals klar gemacht?Wir können das Bemühen zur Klärung dieser Frage am besten am Begriff der Trägheit verfolgen. Ein Körper erweist sich als träge, wenn er Änderungsversuchen seiner Lage Widerstand entgegensetzt. Je mehr Materie er hat, umso mehr Widerstand. In Newtons Principia von 1697 heißt es dazu in Definition III: "Die der Materie eingepflanzte Kraft ist die Fähigkeit Widerstand zu leisten, durch die jeder Körper von sich aus in seinem Zustand der Ruhe oder in dem der gleichförmig-geradlinigen Bewegung verharrt." Newton sagte vorsichtshalber zwar, dass die Trägheit der Materie "eingepflanzt" wäre, doch wohl von Gott, dass aber danach jeder Körper von sich aus in seinem Zustand zu beharren versucht und dadurch von sich aus wirkt. Wegen dieser Auffassung von Immanenz wurde Newton (1643 - 1727) vom Konkurrent Leibniz (1646 - 1716) am englischen Königshof der Gottlosigkeit bezichtigt, was damals ein schwerer Vorwurf war, noch dazu, da der englische König das Oberhaupt der anglikanischen Kirche ist.
Aber auch bei den Materialisten hatte und hat die Immanenz kaum Freunde, wohl weil sie auf die Verantwortung des Menschen für sein Reden und Tun hinausläuft, was instinktiv jedoch niemand will, aber lieber nicht offen sagt. Der Physiker und Theoretiker Ernst Mach stellte dazu freihand die Behauptung auf, dass die Trägheit den Körpern "von fernen Fixsternmassen" verliehen würde (Machsches Prinzip) - die Dinge vor Ort täten also nur so, als ob sie träge wären, so als wäre in der Welt alles nur Theater. Oder liegt hier einfach nur ein Mangel an Sachverstand vor? Im Standardmodell der Teilchen kommt die Masse erst gar nicht vor. Aber wegen ihrer Unverzichtbarkeit für Wechselwirkungen wurde von Peter Higgs ein Feld ersonnen, das an Stelle einer Eigenträgheit der Dinge für den Widerstand der Teilchen sorgen würde - die Masse als das Maß der Trägheit ein Teilchen! Absurd! Physiker spalten so nicht nur Atome, sondern auch die Trägheit von der Materie, obwohl gerade ihre Trägheit der Ausweis ihrer Existenz ist. Nur was Widerstand bietet ist erfahrbar.
In der Welt größten Maschine am CERN hat man daher jahrelang versucht, aus diesem Higgsfeld Funken zu schlagen, um den "Beweis" für die Existenz des Feldes zu finden. Aber was in den Beschleunigern durch Einsatz riesiger Energien und deren Spaltung erzeugt wird, kommt generell in der Natur gar nicht vor, weshalb diese Kunstnatur ein eigenes Forschungsgebiet ist, das wenig bis nichts über die wirkliche Natur beweist. Der US-Physiker Weinberg dazu: "Fast alle Teilchen, deren Felder im modernen Standardmodell der Teilchen und Wechselwirkungen auftreten, zerfallen so schnell, dass sie in gewöhnlicher Materie nicht vorkommen und im Leben der Menschen keine Rolle spielen", weshalb wir uns trotz des auffällig schnell verliehenen Nobelpreises für die Theorie nicht beeindrucken lassen sollten.
Auch zeigte sich hier das Janusgesicht von Determination: weil das Higgsfeld die Teilchen steuern würde, wird das mühsam herausgeschlagene Higgsboson auch "Gottesteilchen" genannt, also ein Teilchen von Gott. Aber warum sollte einzig das Higgsfeld die Fähigkeit des Haltens haben und nicht gleich die Teilchen selbst? Dafür gibt es keine physikalischen Gründe, sondern nur aus der Denkweise kommende weltanschauliche oder einfach ideologische! Und auch Machs den Körpern Mächtigkeit verleihende "ferne Fixsternmassen" waren so etwas wie ein Gottesersatz. Weil populäre "Erklärungen" dem Zeitgeist entstammen, ist es kein Wunder, dass sich immer so schnell viele glaubensbereite Anhänger solch frei erfundener Thesen finden.
Ich denke, in einer demokratisch verfassten Gesellschaft sind solche für mich überflüssigen und feigen Theorien nicht hinnehmbar, sind sie doch eine Flucht aus der Realität und vor der Verantwortung des Menschen für sein Denken und Tun. Gerade in der Situation in der die globale Menschheit heute steht kommt es darauf an, sich endlich ehrlich zu machen und die Dinge so zu sehen, wie sie sind und sich zeigen, und dass alle Wissenschaffenden sich ihrer Verantwortung für die Zukunft des Planeten bewusst sind und danach handeln. Gerade von der Wissenschaft, in die sie viel Geld investiert, erwartet die Gesellschaft zu Recht, dass sie unvoreingenommen aufklärend vorangeht, wie dies auch der Verhaltenskodex der DPG besagt. Nehmen wir ihn ernst.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!
Autor:
Helmut Hille, Heilbronn
FV DD, Mitglied der AG Phil